Eine Person lernt digital mit einem Tablet, zu sehen ist ein Kapitel zu dem Thema Steinzeit.

Das mBook: Ein innovatives Geschichtsschulbuch für das Medienzeitalter?

Karl-Heinrich Pohl
Für ihre vielfältige Hilfe und Unterstützung danke ich Dr. Hanna Acke, Ralf Pauls und Hilda Ruokolainen.

Ein Schulbuch kennt jeder. Jeder ist einmal Schülerin oder Schüler gewesen und hat eigene Erfahrungen mit Schulbüchern gesammelt. Jeder meint, das Genre beurteilen zu können, und manch einer scheint sogar zu glauben, mehr zu wissen als die Geschichtsschulbuchautoren. Wissen über Schulbücher ist damit offensichtlich Allgemeinwissen. Wenn es mithin ein geistiges Produkt von großer gesellschaftlicher Bedeutung gibt, an das die Allgemeinheit besonders hohe Erwartungen hat und an das sie zugleich kritische Anforderungen stellt, dann ist es wahrscheinlich „das“ Schulbuch, insbesondere das Schulbuch für die sogenannten sinnbildenden Fächer wie etwa Geschichte, Politik und Ethik.
Aber auch über die Populärkritik des „gemeinen Nutzers“ hinaus, sind Schulbücher auf den verschiedensten Ebenen kritischen Bewertungen ausgesetzt. Zuerst sind die Schülerinnen und Schüler zu nennen, für die die Bücher geschrieben werden. Sie sollen mit ihrer Hilfe vernünftig lernen und ihre Lehrerinnen und Lehrer sollen mit ihnen gut arbeiten können. Die Bücher sollen ferner auf neuestem Stand, wegen der knappen Finanzen der Schulen zugleich aber auch langlebig sein. Wie soll das zusammenpassen? Hinzu kommen die Interessen der Schulbuchverlage, die mit ihren Büchern auf einem hart umkämpften Markt Geld verdienen wollen. Ihre Interessen decken sich keineswegs immer mit denen von Lernenden, Lehrenden und Schulbuchautoren. Dies hat ein jeder Newcomer zu beachten, wenn er sich auf dem Markt behaupten und sogar, wie im Falle des mBooks, die „verkrusteten Vertriebsstrukturen für Lehr- und Lernmittel“ verändern will.1
Jenseits dieser Problematik gibt es aber auch noch die dem Genre Geschichte inhärenten Standards, die zu erfüllen sind. Da wären etwa die Fakten, wie Jahreszahlen, Namen, Zusammenhänge, Sachangaben usw., die ausnahmslos korrekt sein müssen, was manchmal auch nach der x-ten Auflage eines Buches nicht erreicht wird. Ferner soll die didaktische und pädagogische Konzeption möglichst dem neuesten Stand der Forschung entsprechen. Dabei gibt es die eine gültige Konzeption in der didaktischen Forschung gar nicht. Fachwissenschaftlich soll den Geschichtsschulbüchern Unbedenklichkeit attestiert werden, was bei der Vielzahl einander geradezu bekämpfender historischer Ansätze ebenfalls kaum möglich ist. Schließlich haben die Bücher in der Regel den Vorgaben durch staatliche Lehrpläne und vom Staat berufener Schulbuchkommissionen zu genügen. Schon allein der Versuch, alle diese Vorgaben zu erfüllen, stellt gewissermaßen die Quadratur des Kreises dar.

Damit aber noch nicht genug. Die Schulgeschichtsbücher haben – wie alle Bücher in den sinnbildenden Fächern – vor allem auch politischer „Correctness“ zu genügen, dürfen nicht anstößig sein und schon gar nicht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik auch nur im Ansatz widersprechen. Sie müssen vielmehr so verfasst sein, dass sie von der Mehrheit in der Gesellschaft akzeptiert werden, um dann als gespeichertes gesellschaftliches Wissen von der Mehrheit in der Gesellschaft angenommen werden zu können. Das aber bedeutet, dass zu starke Innovationen, wie auch politische Experimente, in der Regel unerwünscht sind. Dagegen haben Zurückhaltung, ja, Vorsicht in der Darstellung und behutsame Bewertung zu überwiegen. Schulgeschichtsbücher folgen daher eher konservativen Trends, was ihre Innovationsfreudigkeit, aber auch ihre Attraktivität (bei den Schülerinnen und Schülern) nicht gerade fördert.
Novitäten, wie etwa das mBook, scheinen es daher von vornherein schwer zu haben. Aber selbst beim Abschwören aller Nichtkonformität bleibt das Problem, dass Sinn und Ziel von Geschichte und Geschichtsunterricht nicht nur unter den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, sondern auch unter den Fachleuten höchst umstritten sind.
Immerhin gibt es auch Anhalts- und Fixpunkte für Schulgeschichtsbücher. Eine gewisse Einigkeit besteht z. B. darüber, dass Geschichte eine nach wissenschaftlichen Verfahren erarbeitete Konstruktion der Vergangenheit aus gegenwärtiger Perspektive sein sollte. Schulgeschichtsbücher sollten dementsprechend keine verbindliche und in sich geschlossene Narration vorgeben, sondern Geschichte als einen sich wandelnden Prozess offenlegen, mit sich verändernden Fragestellungen, Interessenlagen und Informationsständen. Zugleich soll allerdings Geschichte (und damit auch das Schulgeschichtsbuch) die Dimensionen von Gegenwart und sogar Zukunft mit einbeziehen. Geschichte soll gewissermaßen – zumindest aus geschichtsdidaktischer Perspektive – eine Basis für das Leben in der Gegenwart bereitstellen. Dass man aus der Geschichte lernen kann und sollte, ist allerdings eine durchaus kontrovers diskutierte Zielsetzung.
Aus diesem Anforderungskatalog folgt, dass Geschichte ein Denk- und kein Paukfach ist, worauf sich die Schulgeschichtsbücher einstellen müssen. Insbesondere Fähigkeiten oder Kompetenzen (wobei über das Ausufern der Kompetenzorientierung hier nicht weiter diskutiert werden soll) zur (Re-)Konstruktion sowie zur De-Konstruktion von historischen Narrativen sollten dementsprechend in modernen Schulgeschichtsbüchern ein besonderes Gewicht haben. Konsens ist, dass das Ideal eines so begründeten Geschichtsunterrichtes nicht nur im Erwerb historischen Wissens, sondern auch und vor allem darin bestehen sollte, mithilfe von historischem Material ein reflexives und reflektiertes Geschichtsbewusstsein bei den Schülerinnen und Schülern zu fördern.
Schülerinnen und Schüler sollen also lernen, sinnvolle Fragen zu stellen (Fragekompetenz), sie müssen Vergangenes re-konstruieren, aber zugleich auch wieder de-konstruieren können (Methodenkompetenz) und sie müssen fachspezifische Fertigkeiten gewinnen (historische Sachkompetenz). Hierzu dürfte im Besonderen die Kompetenz gehören, Texte, Darstellungen, Bilder und vor allem die Produkte des Internets kritisch zu reflektieren (Medien- und Informationskompetenz). Und nicht zuletzt sollen sich die Lernenden – wie erwähnt – mithilfe von Geschichte auch Orientierung in der Gegenwart verschaffen können (historische Orientierungskompetenz). Manche Ministerien wünschen sich noch Sozial- und sogar „Selbstkompetenz“, was immer sie darunter verstehen mögen.2

Der gegenwärtige Trend geht offenbar dahin, Reglementierung und Reproduzierbarkeit von Wissen, wie es etwa von früheren Bildungsstandards verlangt wurde, zugunsten von Problemorientierung, Methodenvielfalt, selbstständigem Lernen und Kompetenzgewinn zu verlagern. „Offenes Geschichtsbild“, Multiperspektivität und Kontroversität sind in diesem Kontext nicht nur eine pädagogisch begründete, fachwissenschaftlich geforderte und didaktisch notwendige, sondern zugleich auch eine aus den gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erwachsende wichtige Forderung.3 Schülerinnen und Schüler sollten lernen, vorgegebene Narrative zu erkennen, zu bewerten, kritisch zu beurteilen und ggf. (begründet) zu verwerfen. Zugleich soll Geschichte damit eine gesellschaftlich-politische Orientierungsfunktion (Urteilskompetenz) vermitteln. Wertungen dürfen jedoch nicht unreflektiert und ohne Diskussion oktroyiert werden. Gemeint ist hier ein „Überwältigungsverbot“, das etwa der Lehrkraft verbietet, ihre überlegene Fachkompetenz zur Durchsetzung ihrer Meinung zu nutzen.4
Die Lernenden sollen sich schließlich mit der Pluralität von Meinungen und Bewertungen über das historische Geschehen auseinandersetzen können und dabei ihre eigene Lage bzw. die gegenwärtigen Verhältnisse in ihre Überlegungen einbeziehen und auf zukünftige mögliche Handlungen (mit) einwirken lassen (Handlungskompetenz). Nicht zuletzt wäre es wünschenswert, wenn sie mithilfe der Geschichtsschulbücher lernen könnten, sowohl die Ursachen als auch die Folgen von Entscheidungen kritisch abzuwägen. Das heißt aber auch: Geschichtsschulbücher sollen von dem Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler ausgehen und auf die daraus resultierenden Fragen eingehen (Schülerorientierung).

Will man nun nicht bei diesen eher abstrakten Feststellungen verharren, bleibt noch die wichtige Frage zu klären, an welchen konkreten Inhalten diese Ziele und Kompetenzen verwirklicht, gelernt und eingeübt werden sollen, denn dass auch dies ein wichtiger Teil des Geschichtsunterrichtes bleiben muss, scheint unbestritten zu sein. Schließlich geht es bei aller Kompetenzorientierung vor allem um das Fach Geschichte. Das Auswahlproblem stellt nun aber eine der größten Schwierigkeiten für Schulgeschichtsbücher (mit ihrem begrenzten Raumangebot) dar, selbst dann, wenn verbindliche Lehrpläne hier genaue Vorstellungen entwickeln, die zu befolgen sind. Wie weit diese ministerialen Vorgaben (oder besser: Einschränkungen) wiederum wissenschaftlich jeweils haltbar sind, wäre zu diskutieren. In jedem Fall ist klar: Unter diesen Gesichtspunkten wäre ein Schulgeschichtsbuch neueren Typs wie das mBook, das große Teile des gesamten und immens großen Stoffes ins Netz verlagern könnte, sicherlich im Vorteil.
Damit aber nicht genug: Schulbücher sind Schulbücher und keine wissenschaftlichen Werke. Sie dienen nicht nur dem Transport wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern sie sollen, so wollen es Gesellschaft und Politik, einem speziellen Bildungsauftrag genügen. Sie sind damit bestimmten übergeordneten Bildungszielen unterworfen. Diese sind weitgefächert, höchst abstrakt und meist hohen, nicht infrage zu stellenden menschlichen Werten verpflichtet. Vor allem aber sind sie höchst normativ. Hiermit umzugehen ist für Schulgeschichtsbücher besonders schwierig. Einerseits darf man zwar alles diskutieren, andererseits aber unterliegen gerade Schulbücher eben diesen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Das jedoch kann möglicherweise mit der Zielsetzung, ein „offenes Geschichtsbild“ anbieten zu wollen, kollidieren.

Ferner sollen die Schülerinnen und Schüler Perspektiven gewinnen, ihre Zukunft selbst gestalten lernen und ihre „Selbstkompetenz“ ausbauen, sowie ihre soziale Kompetenz erhöhen. Der Umgang mit der eigenen Geschichte soll Hilfen geben, um ihre persönliche Entfaltung in sozialer Verantwortlichkeit zu fördern. Er soll also zu einer verlässlichen Basis für das Handeln in Gegenwart und Zukunft werden, natürlich meist aus christlich-europäischer Perspektive. Daraus ergibt sich fast schon selbstverständlich, dass Geschichtsunterricht (und mithin auch das Schulgeschichtsbuch) zur Stärkung der individuellen und auch der kollektiven Identität dienen soll. Ein geradezu utopisches Ziel. Wer oder was zu dieser kollektiven Identität gehört, bleibt dabei von der Politik meist undefiniert. Wie weit diese Ziele von Wissenschaft und Pädagogik mitgetragen werden, sei jedenfalls dahingestellt.
Hinzu kommen weitere Forderungen von Politik und Gesellschaft. Hier seien nur zwei gravierende, aber höchst virulente Aspekte genannt:

  • Zum einen wird gewünscht, dass sich die Schulgeschichtsbücher dem digitalen Zeitalter anpassen, d. h., sie sollen die Möglichkeiten, die etwa das Internet bietet, und das Verhalten und die Wünsche der Schülerinnen und Schüler, die im digitalen Zeitalter aufgewachsen sind, nutzen. Damit werden ganz neue Dimensionen eröffnet, die bislang von den Schulgeschichtsbüchern noch kaum ausgefüllt worden sind. Die Frage ist, ob damit eine Revolution auf die Schulgeschichtsbücher zukommt, ob man zukünftig überhaupt noch von Schulbüchern, oder doch besser von Bildungsmedien sprechen sollte. Hier setzt die mBook-Reihe als bisher einziges multimediales Bildungsmedium dieser Art bewusst an. Hier hat sie dementsprechend ihre großen Chancen.
  • Zum anderen wird stärker, als noch vor Jahren, das gemeinsame Lernen unterschiedlicher Gruppen (Stichwort: Inklusion) in den Mittelpunkt des Forderungskataloges (auch) an den Geschichtsunterricht gestellt. Fragen mit verschiedenem Schwierigkeitsniveau (wie bisher als probates Mittel genutzt) dürften jetzt kaum noch ausreichen, um dieser Forderung gerecht zu werden. Es wird also die (nicht unumstrittene) konkrete Verwirklichung des allgemeinen Prinzips der Inklusion auch für die Praxis des Geschichtsunterrichtes und damit gleichfalls von den Schulgeschichtsbüchern gefordert. Auch dies ist ein neues Phänomen, das berücksichtigt werden muss und auf das die neuen Schulbücher (Bildungsmedien) einzugehen haben. Auch hier erhebt die mBook-Reihe den Anspruch, neue Wege zu gehen.

Insgesamt stellt das alles jedenfalls einen Strauß von nahezu unerfüllbaren allgemeinen Anforderungen an Lernende und Geschichtsschulbücher dar. Vor allem: Wie bei all diesen Anforderungen Geschichtsunterricht auch noch Spaß machen kann, bleibt schleierhaft. Und welche Schülerin oder welcher Schüler könnte solch dicke Schulbücher, in denen all das verwirklicht wird, noch tragen? In dieser Frage dürfte die neue mBookGeneration uneingeschränkt punkten. Ein Tablet geht immer und wiegt fast nichts.

Grundsätzliche Anforderungen an ein modernes Schulgeschichtsbuch

Wie hätte nun ein modernes Schulgeschichtsbuch auszusehen, das zumindest ansatzweise diese Anforderungen (oder besser: Wünsche) erfüllt? Wichtig wäre, dass der jeweilige Fragehorizont (die Fragestellung) des Schulbuches deutlich und den Schülerinnen und Schülern auch verständlich wird und sie und ihre Interessen zumindest tangiert. Es geht dabei darum zu verdeutlichen, dass Geschichte, auch die im Schulbuch dargestellte, ein Konstrukt ist, wobei durch die Fragestellung die Aussagen geleitet und damit auch die jeweiligen Erkenntnisse mit bestimmt werden. Die Lernenden müssen erkennen, dass andere Fragen und Konstruktionen möglich wären, aber auch, dass eine steuernde Fragestellung ein legitimes und notwendiges Instrument der historischen Forschung ist. Zugleich muss vermieden werden, Geschichte als etwas Beliebiges darzustellen, bei dem jede Interpretation der Vergangenheit gleichgewichtig wäre.
Die Darstellung im Schulgeschichtsbuch hat dementsprechend – wie oben erwähnt – ein „offenes Geschichtsbild“ zu vermitteln, was nicht immer leicht ist, wenn man etwa an die Forderungen verschiedener Kultusministerien denkt, bestimmte Werte nicht kritisch hinterfragen zu dürfen. Es muss, soweit das möglich ist, immer deutlich werden, dass es keine Gesetzmäßigkeiten, keine unveränderlichen historischen „Wahrheiten“ gibt, wohl aber, und das scheint im Medienzeitalter besonders wichtig zu sein, plausible und überzeugende, aber auch weniger plausible und weniger überzeugende Konstruktionen. Deren Tragfähigkeit hängt immer von der Stärke der Argumentation ab und von den sie stützenden Quellen und Darstellungen, nicht aber von scheinbar überzeugenden, nicht zu kritisierenden Ideologien. Es gilt, Fakes von Fakten unterscheiden zu können. Medienkompetenz spielt also in Zukunft eine höchst wichtige Rolle. Jede Schülerin und jeder Schüler muss wissen, dass eine historische Erklärung immer auch interessengeleitet ist.

Daraus ergibt sich, dass Geschichte im Schulgeschichtsbuch in ihrer Darstellung kontrovers zu sein hat. Lernende sollten durch das Schulgeschichtsbuch in der Fähigkeit gefördert werden, faktenbasiert – das sei betont – kontrovers zu diskutieren. Die Fähigkeiten einzuüben, Konstruktionen von Texten und Literatur zu erarbeiten, diese zugleich aber auch de-konstruieren zu können, stellen insofern eine weitere unabdingbare Voraussetzung für jedes Schulgeschichtsbuch dar. In diesen Kontext gehört außerdem die Beachtung von Multiperspektivität, also der Behandlung eines Themas aus verschiedenen (zeitgenössischen) Perspektiven.
Das könnte wiederum der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler entsprechen, die gerade in der Gegenwart die verschiedensten Erfahrungshintergründe besitzen. Ihre daraus resultierenden unterschiedlichen Fragen (und nicht etwa nur die der Wissenschaft) sind es, die Geschichte konstituieren. Quellen (und Texte über Geschichte, denen die Schüler in ihrem alltäglichen Leben auf Schritt und Tritt begegnen) sind daher wichtige Materialien, mit denen sie intensiv arbeiten sollten. Hier dürfte das Internet in Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Um solche Quellen zu interpretieren, bedarf es allerdings – wie erwähnt – besonderer Techniken (Kompetenzen). Gerade diese müssen im Schulbuch angemessen geübt und immer wieder genutzt werden.
Nicht zuletzt aber muss ein modernes Schulgeschichtsbuch berücksichtigen, dass gegenwärtige Lernende anders lernen und denken als frühere Generationen. Vernetztes Denken, Hopping zwischen verschiedenen Informationen und Surfen im Netz sind normale Bestandteile des Lernens bei der jungen Generation. Wie weit das im klassischen Schulbuch möglich ist, muss offen bleiben. Auf den ersten Blick könnten hier digital konzipierte Lehrmaterialien (etwa die mBook-Reihe) dem klassischen Schulbuch in Manchem voraus sein. Bleibt die Frage, wie und nach welchen Grundvoraussetzungen digitale Schulbücher entwickelt werden können, die den Ansprüchen an klassischen Geschichtsbüchern genügen und zugleich die (zweifellos vorhandenen) Vorteile des neuen digitalen Lernens berücksichtigen.

Wie heutige Schulgeschichtsbücher beschaffen sind

Was die Beachtung vieler dieser Grundanforderungen angeht, ist bei der gegenwärtigen Generation von Schulgeschichtsbüchern gegenüber den Werken, die etwa vor zwanzig, dreißig Jahren erschienen sind, bereits eine gewisse Veränderung zu konstatieren. Die Bücher werden u. a. im PDF-Format bereitgestellt. Vereinzelt stehen auch Hintergrundmaterialien in digitaler Form zur Verfügung. Digitales Lernen im (und mit dem) Netz steht aber (noch) nicht im Mittelpunkt – obwohl sich auch hier mittlerweile viel bewegt. Schulbücher allerdings, die in eine neue Dimension vorstoßen wollen, nämlich der gleichzeitigen, konsequenten Beachtung der genannten klassischen Kriterien und darüber hinaus – und gleichberechtigt – der Ausnutzung der neuen Möglichkeiten digitalen Lernens sowie der Orientierung an neuen Anforderungen für inklusiven Unterricht, sind bisher eher selten.

Der neue Ansatz der mBook-Reihe für das Fach Geschichte

Schrittmacher auf diesem Weg will nun die neu konzipierte mBook-Reihe für das Fach Geschichte sein. Sie hat die Absicht, neben den klassischen Anforderungen zugleich auch die Problematiken von Digitalität und Inklusion konsequent aufzunehmen, um auf diese Weise die geforderten Lernziele noch besser zu erreichen: Zum einen bedeutet das die Nutzung der digitalen Medien als Hilfsmittel zur besseren Verwirklichung der genannten Lernziele. Zum anderen wäre zu fragen, ob in der Digitalität nicht ein zusätzlicher, ein eigener Mehrwert liegt, der in neue Dimensionen von Lernen weist – und ob dies bereits in der neuen mBook-Reihe sichtbar wird.
Diese Reihe, die im Jahr 2017 vom Cornelsen Verlag übernommen wurde, setzt sich gegenwärtig, nach längeren (wissenschaftlichen) Vorstudien, aus den folgenden Lehr- und Lernmedien zusammen:

  • Einem ersten Projekt für das Fach Geschichte in der Sekundarschule der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens aus dem Jahre 2013.
  • Dem mBook Geschichte Nordrhein-Westfalen für den gymnasialen Unterricht, das 2014 folgte, sowie dem mBook Geschichte (2016) – ein bundesländerübergreifendes Angebot.
  • Dem mBook „Russlanddeutsche Kulturgeschichte“ aus dem Jahr 2017, einem gruppenspezifischen Angebot mit dem Anspruch, integrierend auf Lerngruppen zu wirken, deren Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Herkünfte, Erfahrungshorizonte und kulturelle Prägungen haben – in diesem Falle mit dem Schwerpunkt auf den Bedürfnissen und Sichtweisen von Lernenden, die aus russlanddeutschen Familien stammen.
  • Dem im Jahr 2018 erschienenen mBook Geschichte Nordrhein-Westfalen für das gemeinsame Lernen.

Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf das mBook Geschichte (2016) und das mBook für das Gemeinsame Lernen (2018). Alle mBooks besitzen das Alleinstellungsmerkmal, ausschließlich digital nutzbar zu sein.
Die mBooks wollen, zumindest partiell, die spezifischen medialen Möglichkeiten und digitalen Techniken der Gegenwart intensiv nutzen und dadurch, so zumindest ihr Anspruch, den gegenwärtigen Geschichtsunterricht sinnvoll verändern. Sie wollen versuchen, die Vorteile, die traditionelle Schulbücher haben, zu nutzen und in ein gemeinsames Setting zu integrieren, in dem digitale Arbeit und mediale Techniken gleichberechtigt neben den alten Schulbuchtechniken eingesetzt werden. Vor allem aber wollen sie versuchen, dadurch einen Lernmehrwert zu schaffen. Wie weit dabei allerdings der Eigenwert einer solchen digitalen Konzeption in umfassend neue Dimensionen von Lernen führt, Dimensionen, die auf anderem Wege nicht zu verwirklichen sind, muss sich erst noch zeigen.
Auf Anhieb sichtbare Stärken des gewählten mBook-Ansatzes bestehen vor allem in drei Bereichen. Zum einen können Stimmungen und Gefühle, ja geradezu alle Sinne, stärker als bisher zum Lernen und Arbeiten genutzt, ins Lernen integriert werden. Fast alle Themen können durch Videos, verschiedene Animationen oder auch Audios erheblich erweitert werden. Dies kann die Vermittlung notwendiger Sachinformationen zweifellos lebendiger und damit einprägsamer, im konkreten Sinne einsichtig machen. Das kommt wahrscheinlich dem Lernen der Schülerinnen und Schüler entgegen. Zum kognitiven kommt also noch das emotionale und ästhetische Lernen.
Ferner kann bei einem solchen Ansatz eine besondere Fülle von Materialien angeboten werden, die die Möglichkeiten eines jeden konventionellen Schulbuches sprengt. Das Internet ist ja geradezu unendlich und bietet die Möglichkeit, gezielt vertiefende Informationen oder weiteres, auch schon didaktisch aufbereitetes Material in das Bildungsmedium aufzunehmen. Dabei können Formen der Annäherung an Geschichte und ihrer Probleme ausgewählt werden, die heutigen Schülerinnen und Schülern angemessen sind und in denen sie sich auskennen.
Einerseits wird dabei an bestimmten Stellen eine Arbeit im Netz nötig, was ein Abschweifen ermöglichen könnte. Das Angebot ist jedoch andererseits auch limitiert, um das unbegründete „Verlieren im Netz“ zu verhindern. Ein solcher Ansatz kommt wahrscheinlich dem vernetzten Denken der gegenwärtigen Schülergeneration nahe. Es dürfte ihrem Arbeitsstil weit eher entsprechen als das Lesen eines gegebenen Angebots längerer oder kürzerer Texte in einem gedruckten Schulbuch. Inwieweit bei einem solchen Ansatz einer verkürzten Aufnahme von Informationen ohne die notwendige Durchdringung und Vertiefung Vorschub geleistet wird, muss sich noch zeigen.
In einem dritten Bereich schließlich, der Differenzierung und Inklusion, scheint der Ansatz besonders vielversprechend zu sein. Das hängt vor allem mit der Fülle der Materialien zusammen. Hinzu kommt, dass diese nicht, wie häufig in gedruckten Schulbüchern, einfach nur zwischen schwer, mittelschwer oder leicht unterscheiden, sondern dass viele weitere Wege der Differenzierung möglich sind. Die Fülle der unterschiedlichen Angebote in verschiedenen Dimensionen und unter Nutzung unterschiedlicher Mediengattungen macht es wahrscheinlich möglich, in hohem Maße auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler zu- und auf sie einzugehen. Vor allem aber: Inklusion bekommt bei einem solchen Ansatz keinen diskriminierenden Unterton, sondern ist geradezu selbstverständlich. Das ist sozial von höchster Bedeutung.

Kritische Analyse der mBooks anhand konkreter Beispiele

Wenden wir uns nun konkret den mBooks zu und untersuchen wir, wie sie zum einen ihren selbstgestellten Anforderungen und zum anderen den Chancen, die die Arbeit mit den neuen Medien bietet, gerecht werden.
Dazu einige grundsätzliche Bemerkungen: Die mBooks deuten zweifellos an, welche Chancen die digitale Erweiterung bieten könnte. Konkret ist jedoch festzustellen, dass die mBooks im Hinblick auf Materialordnung und narrative Verbindung (noch) keine umfassende Revolution darstellen. Sie bleiben Schulbücher, mit einer seitenähnlichen Ordnung und stellen daher eine (bewusst geschaffene) Brücke zwischen der analogen und der digitalen Welt dar. Und sie sind damit sicher ein Angebot für viele Unterrichtende, die bekanntlich in sehr unterschiedlicher Weise digitalaffin sind. Die Gliederung der mBooks entspricht folglich weitgehend bekannten Vorbildern, sie wird allerdings auch variiert, mitunter sogar recht deutlich.
Im Prinzip werden zu Beginn eines jeden Kapitels die allgemeine Fragestellung und das Erkenntnisinteresse erörtert (ggf. mit „Unterfragestellungen“ in den Unterkapiteln). Dabei wird regelmäßig problematisiert und meist eine kontroverse Diskussion angeboten. Das ist überzeugend, manchmal sogar etwas zu ausführlich. Darauf folgen in der Regel Verfassertexte in den verschiedensten Variationen. Sie dienen dazu, das notwendige Wissen über die Thematik einzubringen. Das ist allgemeiner Schulbuchstandard. Auch wird Textarbeit mit den verschiedensten Textsorten angeboten. Diese Arbeit soll meist auf gewissermaßen „klassischem Wege“ geschehen, indem von den Autoren Fragen (auf verschiedenen Niveaus) gestellt und von den Lernenden beantwortet werden sollen. Dass es hierbei, dank des Einsatzes der neuen Medien, mehr Möglichkeiten gibt, wird an vielen Stellen innovativ genutzt. Das stellt jedoch noch keine grundsätzliche Novität dar.
Wenn also das Modell für die mBooks nach wie vor das klassische Schulbuch ist, wie deren Struktur belegt, dann hat es Sinn, sie in einem ersten Schritt an der Erfüllung der klassischen Grundforderungen zu messen. Konkret wäre also zu prüfen, auf welche Weise und in welchem Maße Anforderungen wie Kontroversität, Multiperspektivität, „offenes Geschichtsbild“, Gegenwartsbezug, Problemorientierung, Schülernähe oder Ähnliches berücksichtigt werden und inwieweit zu erkennen ist, dass Geschichtsschreibung ein (nach wissenschaftlichen Kriterien erstelltes) Konstrukt ist. Das mBook Geschichte 2016 soll für diese Betrachtung die Basis abgeben. Im Folgenden werden, aus gegebenem Anlass, vor allem Kapitel aus der neueren Geschichte berücksichtigt.

Bereits zu Beginn seines Statements zur Französischen Revolution gibt sich der Autor als jemand zu erkennen, der um die Probleme der Thematik weiß und daher zu Recht für das Kapitel verantwortlich zeichnet. Zugleich aber wird seine Autorität auch wieder relativiert. Durch seinen persönlichen Kommentar wird nämlich deutlich, dass genau er, Lukas Kneser, seine Ansichten zur Diskussion stellt. Er betont ausdrücklich, seine Sicht (als eine mögliche von mehreren) der Geschichte darstellen zu wollen. Zugleich weist er darauf hin, dass er sich bemühen wird, im nachfolgenden Kapitel sachliche Argumente für seine Thesen zu finden. Der Konstruktionscharakter von Geschichte wird hier bereits in der Personifizierung deutlich und zugleich wird betont, dass die sachliche Argumentation von entscheidender Bedeutung ist.
Indem der Autor zu erkennen gibt, dass auch er nicht alles in der Geschichte versteht und erklären kann, öffnet er zugleich eine grundsätzliche Problematik der historischen Analyse. Offensichtlich kann man sich, wie der Autor, jahrelang mit historischen Problemen beschäftigen – und versteht dann immer noch nicht alles, kann keine endgültigen und für immer schlüssigen Antworten geben. Das ist eine zentrale Erkenntnis der Geschichtswissenschaft und in diesem Falle zugleich eine gelungene Aufforderung an die Schülerinnen und Schüler, sich ihrerseits an Erklärungsversuchen zu beteiligen. Das ist nicht nur wissenschaftlich korrekt, sondern zugleich auch ein hervorragender didaktischer Kunstgriff. Er ist schülernah, handlungs- und problemorientiert und zugleich Interesse weckend. Kontroversität in der Geschichtsbetrachtung und Konstruktionscharakter werden damit geradezu sinnlich verständlich. Das ist ein deutliches Plus des mBooks.

Es gibt aber auch Beispiele, die man kritischer sehen kann. Das trifft etwa auf das Video zur Innenpolitik im deutschen Kaiserreich zu. „Mister Wissen to go“ erklärt die Innenpolitik des Kaiserreiches. Die Nutzung dieses Videos ist auf der einen Seite ein kluger Schachzug der Herausgeber, denn „Mister Wissen to go“ ist eine bekannte Internetgröße und hunderttausende Schülerinnen und Schüler kennen und lernen mit seinen Zusammenfassungen. Insofern wurde ein großer Motivator für das Werk gewonnen.
Auf der anderen Seite bleiben bei seinem Beitrag jedoch, was Konstruktion von Geschichte, Kontroversität und offenes Geschichtsbild angeht, Fragen offen. Der Autor erklärt nämlich geradezu autoritativ die Innenpolitik Bismarcks. Er erklärt „wie es wirklich gewesen ist“, ohne viele Zweifel an seiner Konstruktion aufkommen zu lassen, ja, er gibt nicht einmal zu erkennen, dass seine Darstellung eine Konstruktion sein könnte – für die er im Folgenden (gute) Argumente anführen wird.
Das ist bedenklich, auch wenn man berücksichtigt, dass es sich um Fremdmaterial und nicht um ein „Eingangsvideo“ handelt und das Kapitel im weiteren Verlauf – wie immer – randvoll mit weiteren Darstellungen und Texten ist, die sich sehr differenziert und kritisch diesem Staat widmen und auch auf eine Offenheit der Entwicklung hinweisen. Das hilft sicherlich der eigenen Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler. Wie weit das Video jedoch bereits diese Meinungsbildung (einseitig) beeinflussen könnte, wäre zu prüfen.
Hinzu kommt der methodische Ansatz der Personalisierung. Bismarck ist die zentrale Figur; er macht alles, wenn nicht im Ausnahmefall der Reichstag als Widersacher kurz erwähnt wird. Personalisierung (schülernäher wäre in der Regel sicherlich Personifizierung, wann immer es möglich ist) kann zwar ein weiterführender methodischer Ansatz sein, bietet sich hier vielleicht sogar an. Er muss aber, wenn man die Vielfältigkeit historischer Zugriffe und die methodischen Diskussionen in der Fachwissenschaft berücksichtigt, als einer von mehreren möglichen Ansätzen kenntlich gemacht werden.
Mit einem offenen Geschichtsbild ist auch der scheinbar Neutralität versprechende Begriff in der Kapitelüberschrift: „Der Wilhelminische Obrigkeitsstaat“ nicht recht zu vereinbaren, denn der Satz gibt ja bereits eine bewusste Interpretation in eine bestimmte Richtung vor. Das gilt selbst dann, wenn der Begriff seinen speziellen Charakter gegenwärtig verloren haben mag und im Kapitel dann mehrfach eine zusätzliche Distanzierung eingebaut wird. Immerhin: Vereinsrecht, Wahlen oder auch Worpswede werden als Beispiele dafür gebracht, dass durchaus nicht alles im Kaiserreich Obrigkeitsstaat war.

Grundsätzlich wäre zu erörtern, ob die Autoren nicht durchgängig oder noch öfter mit fragenden Kapitelüberschriften arbeiten sollten. Ein fragender Satz entspräche etwa im Kapitel zu den inneren Verhältnissen des Kaiserreichs auch der Struktur des gesamten Kapitels, denn dieses ist ja gewissermaßen in zwei Seiten eingeteilt: einerseits „Enge und Strenge“, andererseits „Fortschritt und Wohlstand“. Es handelt sich demnach um zwei Seiten der Zeit, die sich anscheinend diametral gegenüberstehen. Der Autor löst dies allerdings insofern auf, als er fragt, wie das wohl möglich sei.
Das Großkapitel „Warum scheiterte die Weimarer Republik?“ lässt ebenfalls, neben höchst positiven Akzenten, einige Fragen offen. Im Einführungsclip (das ist hier wieder ein positives Herzstück des mBooks) werden nahezu alle Forderungen der Geschichtsdidaktik angesprochen und sinnvoll aufeinander bezogen, auf Schwierigkeiten hingewiesen und versucht, Motivation für das Thema zu erzeugen. Besonders mitreißend scheint die Darstellung allerdings nicht zu sein. Und motivierend? Reicht es dazu aus, dass der Autor mitteilt, auch er hätte sich während seiner Schulzeit nicht für die Weimarer Republik interessiert, sei aber nun eines Besseren belehrt worden? Immerhin versucht er Gegenwartsbezug herzustellen. Trotzdem: Chancen einer größeren Emotionalisierung oder des Einsatzes von ästhetischen Elementen werden hier wohl verpasst.
Mit dem (Unter-)Titel „Weimarer Republik – Eine Demokratie scheitert“ wird zudem eine Interpretationslinie für das gesamte Thema vorgegeben, selbst wenn der Autor dies später als sein subjektives Interesse zu erkennen gibt. Zwar ist die Tatsache, dass die Republik gescheitert ist, nicht zu bestreiten. Auch ist es mehr als berechtigt, nach den Ursachen zu forschen. Nicht zuletzt mag ein solcher Ansatz auch wieder aktuell sein. Damit steht jedoch eine Fragerichtung im Mittelpunkt, die in einem gewissen Widerspruch zum gegenwärtigen Trend der Geschichtswissenschaft steht, die gerade die „positiven Aspekte“ Weimars stärker als bislang würdigt.
Noch deutlicher wird das Thema der Offenheit bei der Frage des Scheiterns: Die drei genannten Grundprobleme, wenn auch wiederum als subjektive Meinung verstanden, können fachwissenschaftlich nur bedingt überzeugen. Die Deutung erscheint zudem teleologisch.

Fazit: Das mBook kommt bei der Berücksichtigung der hier untersuchten Kriterien in vielen Fällen nicht über das Niveau (guter) konventioneller Geschichtsbücher hinaus, trotz der vielfältigen medialen Unterstützung. Der revolutionäre didaktische Mehrwert des Buches erschließt sich unter dieser Perspektive kaum.

Fragen wir noch nach pädagogischen Novitäten. Ganz auffällig ist, dass in den meisten Kapiteln nach wie vor die klassische Textarbeit vorwiegt. Es werden, oftmals nur relativ kurze (die Frage wäre, ob die angebotenen Texte manchmal so knapp sein sollten?) Texte angeboten, die von den Lernenden gelesen werden müssen. Das unterscheidet das mBook nicht grundsätzlich vom klassischen Lehrbuch. Differenzierungen gibt es aber an vielen Stellen. Durchgängig sind solche differenzierenden Angebote vor allem beim mBook für das Gemeinsame Lernen. Auf zusätzliche Problemorientierung wird jedoch meist verzichtet. Man liest den Text in erster Linie, weil man ihn lesen muss, nicht aber weil er bei selbst erarbeiteten Problemlösungen helfen könnte.
Auch die Art, wie auf die Fragen geantwortet werden kann, unterscheidet sich nur unwesentlich vom klassischen Lehrbuch. Die Schülerantwort wird in ein zu öffnendes Textfeld eingefügt. Jeder Nutzer bekommt seinen eigenen Account. Insofern muss nichts gelöscht werden. Das ist höchst positiv. In den hier näher betrachteten Kapiteln gibt es viele solche Aufgaben. Es könnte jedoch auch in diesen – wie in anderen Kapiteln – mehr Tests und Quizze geben, bei denen die Ergebnisse sofort angezeigt werden. Das wäre sicherlich motivierender. Die meisten Inhalte werden zudem einfach in einer stark vorgegebenen Reihenfolge rezipiert. Stattdessen könnten die Schülerinnen und Schüler doch ihre eigenen Wege durch das Material finden, das Medium gibt dies schließlich her. Je nachdem, was sie ansehen wollen, könnten sich neue Pfade öffnen. Statt „nur“ Statistiken über die genutzten Inhaltselemente und die als letztes besuchten Seiten könnte das mBook auch ihren Fortschritt durch das Buch anzeigen (etwa durch farbliche oder typografische Markierung der bereits besuchten Inhalte im Inhaltsverzeichnis). Es könnte auch eine Funktion geben, bei der die Schülerinnen und Schüler selbst markieren könnten, welche Inhalte sie bereits kennen – wenn sie das Buch etwa für Prüfungen nutzen.

Zum Umgang mit Quellen, hier im Kapitel Weimar: Hätte das mBook mit seinem medialen Anspruch nicht größere Möglichkeiten der Variation und vor allem ein größeres Potenzial der schülergemäßen Vermittlung? Nehmen wir etwa die in diesem Kapitel vorgestellten Frauenabbildungen. Das könnte auch in jedem Schulbuch so sein, wenn genügend Platz da wäre. Der wird aber nicht einmal voll ausgenutzt. Denn dann hätte man sich in der Galerie sicherlich auch eine „Proletarierin“ vorstellen können – was dann an anderer Stelle thematisiert wird. Als kulturelle Ergänzung zur Rolle der Frau in der Weimarer Republik werden in den Begleitmaterialien u. a. Szenen aus Frank Wedekinds „Lulu“ (im Netz) angeboten, ein durchaus schwieriges Schauspiel. Das kann ein normales Schulbuch nicht. Ist das aber wirklich schülernah? Ist die Thematik nicht viel zu schwierig? Immerhin gibt es die zum Teil ausgezeichneten Methodenseiten des mBooks, die vielfältige Hilfestellung anbieten.
In Bezug auf die Novemberevolution wiederum wird anspruchsvoll, aber höchst wirkungsvoll (ein sehr guter Baustein für Quellenkritik) die Rede Scheidemanns vom 9. November 1918 genutzt. Hier kommt das digitale Medium zu seiner vollen Entfaltung: Verschiedene Textsorten und Hörproben müssen geradezu zu kontroversen Diskussionen führen. Vor allem kann hier die Kritikfähigkeit gegenüber Medien geschärft werden. Gleiches gilt für die fiktive Geschichte von „Max“, die Weimar aus der Perspektive eines Jugendlichen skizziert – mit seinem Weg zum Nationalsozialismus. Hier ist besonders wichtig, dass die Autoren begründen, welche Funktion eine fiktive Geschichte hat, welche Vorteile sie bietet, um damit sinnvoll zu arbeiten, aber auch, welche Gefahren mit einer solch fiktiven Geschichte verbunden sind. Auch hier wird das digitale Medium gut ausgeschöpft. Hier ist das mBook den klassischen Schulbüchern deutlich überlegen.

Die medialen Vorschläge des mBooks

Nun zum Herzstück des mBooks, der Integration von Medien als tragender Bestandteil. Gibt es also so etwas wie einen eigenen Mehrwert des neuen Mediums? Um meinen Eindruck kurz zusammenzufassen: Das mBook befindet sich auf dem Weg in eine neue Dimension der Schulbuchproduktion, schöpft allerdings, so scheint es, die Möglichkeiten des digitalen Mediums noch nicht voll aus. Es stellt erst einen ersten, wenngleich sehr wichtigen Schritt auf diesem Wege dar. Das aber ist bereits positiv hervorzuheben.
Einige grundsätzliche Bemerkungen: Wenn man sich auf die neuen Medien einlässt und sie altersgerecht darstellen will, muss man den richtigen Ton treffen, muss die neuen Formen der Kommunikation unter Jugendlichen behutsam und gekonnt aufnehmen. Das ist extrem schwierig. Zum einen muss vermieden werden, sich anzubiedern. Zum anderen kann man die alte Sprache des Schulbuches aber auch nicht einfach ins Digitale gleichsam eins zu eins übersetzen. Ein Weg wäre möglicherweise, die häufig unter Jugendlichen genutzte Sprache, auch die der Comics, öfter aufzunehmen und in die eigenen Texte zu integrieren. Das aber ist ein extrem schwieriges Unterfangen, die Anpassung an den Jugendjargon einerseits und die Bewahrung von wissenschaftlichen Standards andererseits. Das Buch versucht durchaus an einigen Stellen, hier einen eigenen Weg einzuschlagen. Es nutzt in der Regel jedoch den Weg der „Übersetzung“. So wirkt es manchmal geradezu ein wenig altbacken.
Die neuen Medien sind schnelllebig. Das ist eine Binsenwahrheit. Auch das mBook muss sich diesem Problem stellen. Die medialen Vorschläge des mBooks verweisen indes keineswegs immer auf ganz aktuelle Produktionen. Teilweise wird z. B. filmisches Material genutzt, das bei Weitem nicht mehr neu ist. Hinweise auf Filme oder andere Darstellungen, die mehrere Jahre alt sind, sind jedoch für die heutige Schülerschaft „out“, es sei denn, sie stellen eine historische Quelle dar. Hier dürfte eine ständige Redaktion gefordert sein, die das Angebot immer wieder auf den neusten Stand bringt. Denn stärker noch als das klassische Schulbuch wird das mediale Bildungsmedium daran gemessen, wie aktuell es ist. Ähnliches gilt auch für die mediale Gestaltung. Viel schneller noch als im gedruckten Buch können Internetpräsentationen veraltet wirken, zumindest gilt dies aus der Sicht jugendlicher Nutzer. Nicht zuletzt trifft das auch auf die Präsentation des gesamten Buches zu. Internetnutzer sind in diesem Bereich höchst verwöhnt – auch und gerade Jugendliche. Das Layout wäre daher immer wieder neuen Standards anzupassen – eine schwierige Aufgabe.
Wie schlägt sich das mBook in diesem Problemkomplex? Die Benutzeroberfläche scheint nach allen Benutzerrückmeldungen offensichtlich überzeugend zu sein. Sie wird weitgehend intuitiv wahrgenommen. Verschiedene Navigationen wurden offenbar sogar auf Wunsch von Lehrerinnen und Lehrern eingebaut, das ist sehr benutzernah. Falls also einfache Anwendbarkeit und Nützlichkeit in einem gewissen Zusammenhang miteinander stehen sollten, dann könnte es sein, dass die Schülerinnen und Schüler die Produkte bei leichter Anwendung auch für besonders nützlich halten. Das scheint hier offensichtlich zuzutreffen.
Das mBook weist auf Orte in der realen Außenwelt sowie Informationen im Internet hin, auch wenn es sehr restriktiv mit den Verlinkungen nach außen umzugehen versucht. Die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler trotzdem frei surfen können, wenn sie sich im Netz befinden, wo sie ja das mBook aufrufen, bleibt jedoch bestehen. Das ist zwar nicht neu, muss aber trotzdem weiterhin im Blick sein. Die Frage sei daher erlaubt, ob ein jugendlicher Leser nicht lieber das Elfmeterschießen zwischen Italien und Deutschland aus dem Jahre 2016 anklickt, das seitlich angeboten wird, als sich etwa langatmig – aber fachlich höchst korrekt – mit verschiedenen Interpretationen der Aufführungen von dem Drama „Lulu“ in seiner Zeit auseinanderzusetzen?
Zudem gibt es einige Kleinigkeiten, die zu bemängeln sind. So wäre etwa die schlechte Lesbarkeit der Texte in den Galerien zu verbessern. Störend sind auch solche Videos, die beim Aufrufen eines übergeordneten Menüs einfach weiterlaufen und nicht anhalten. Nicht alle Artikel sind zudem auf dem gleichen inhaltlichen Niveau erarbeitet. Hier wäre bei Überarbeitungen eine Orientierung an den „Aushängeschildern“ wünschenswert.

Der inklusive Ansatz im mBook Gemeinsames Lernen

Nun zum wichtigen Aspekt, den Chancen, die das mBook bei der Verwirklichung von Inklusion im Geschichtsunterricht bietet. Werden diese mit Hilfe der neuen Medien genutzt und gar erweitert? Und wenn ja, wie geschieht das – und könnte das ein zukünftiger, weiterführender Weg werden? Der inklusive Ansatz soll innerhalb der mBook-Reihe insbesondere im neuen mBook Gemeinsames Lernen verwirklicht werden. Auch dieses Buch verspricht, die grundsätzlichen Forderungen der Geschichtsdidaktik in den Mittelpunkt zu stellen. Insofern will es allen Ansprüchen an ein modernes Schulbuch genügen, trotz des besonderen Schwerpunktes.
Das Buch will die genannten Forderungen sowohl inhaltlich als auch technisch bewältigen. Zum einen soll das Lernen für verschiedene Niveaus in den Mittelpunkt gestellt und so gut wie möglich verwirklicht werden. Das soll auf technischem wie auf inhaltlichem Wege geschehen. Zum anderen soll die Problematik von In- und Exklusion in der Gesellschaft in verschiedenen Zeiten auch als eigenes historisches Thema vorgestellt und bearbeitet werden. Inklusion und Exklusion werden also als historische Gegebenheiten in verschiedene historische Kontexte gestellt und so auch analysiert. Sie verlieren damit – so die Zielsetzung – den Charakter eines nur zeitgenössischen Phänomens.
Die Grundforderung an den Geschichtsunterricht, Gegenwart, Vergangenheit und womöglich Zukunft miteinander zu verbinden, soll auf diese Weise möglichst weitgehend erfüllt werden. Die Themen In- und Exklusion erhalten dementsprechend eigene, auch so hervorgehobene historische Kapitel. Das ist zweifellos ganz neu und scheint vielversprechend zu sein. Zu fragen wäre allerdings, ob durch diese bewusste Separierung des Problems in einzelne Kapitel, das Phänomen Gruppenbildung und In- und Exklusion nicht aus dem Zusammenhang gerissen wird, weil es ja in allen historischen Epochen nicht separat existiert, sondern immer Teil der gesellschaftlichen Realität ist. Didaktisch gesehen ist eine solche Isolierung aber wahrscheinlich sinnvoll.

Zum anderen gibt es für inklusiven Unterricht vielfältige technische Unterstützung, für Lernende und Lehrende. Dabei zeigt sich die Stärke eines digital konstruierten Schulbuches in besonderer Weise. Eine „Magic Tool Bar“ etwa enthält neben Materialdifferenzierungen zusätzliche Medienangebote, methodische Hinweise für den Lehrenden. Sie bietet Orientierungen und Denkanstöße. Hinzu kommen Integrationshilfen für Schülerinnen und Schüler, durch die Darstellungen und Bilder verschieden dargestellt werden können. Auch die Farbe ist variierbar.
Es gibt darüber hinaus automatische Übersetzungshilfen (etwa für Arabisch). Auch auf Legastheniker wird Rücksicht genommen; leichte Sprache ist ebenso verfüg- und wählbar. Zudem gibt es reichlich zusätzliche Animationen. Es wird beispielsweise eine Fülle von Videos und Audios (139), Bildergalerien (659) und Bildern (1693) angeboten. Damit kann kein herkömmliches Schulbuch konkurrieren. Das ist ein wirklicher Mehrwert des neuen mBooks.

Fast alle Texte und Quellen sind zudem auch eingelesen. Dies könnte die Motivation weiter erhöhen und zugleich Lernende fördern, die besonders positiv auf Gehörtes reagieren. Und nicht zuletzt: Das mBook ist ein Arbeitsbuch, in dem gewissermaßen handwerklich gearbeitet werden kann oder in das auch fremde Elemente eingefügt werden können. Hinzu kommt eine Fülle von Hinweisen für die Lehrenden, die die Arbeit mit dem Bildungsmedium, auf verständliche Art und Weise dargebracht, erheblich erleichtern. Auch aus Lehrerperspektive ist das Buch daher sehr wertvoll. Alles spricht dafür, dass bei einer guten Kooperation zwischen Lernenden und Lehrenden die Zielsetzung des mBooks verwirklicht werden kann.
Die Praxis muss allerdings noch belegen, ob das Ganze für lernschwächere Schülerinnen und Schüler nicht doch zu kompliziert ist, ob diese in der Lage sind, die vielfältigen gerade für sie angebotenen Hilfen auch anzunehmen. Theoretisch scheint alles dafür getan zu sein. Man darf gespannt, aber doch zugleich auch mit einiger Skepsis, auf die Ergebnisse aus der Praxis warten.

Wie sieht nun die inhaltliche Umsetzung aus, jenseits der technischen Angebote, die ja in jedem Fall bestechen? Wie werden die klassischen Anforderungen in diesem Setting bearbeitet? Sie zu erfüllen, dazu dient ja der gesamte technische Aufwand, das sei noch einmal betont. Grundsätzlich folgt auch das mBook Gemeinsames Lernen – wie das mBook – dem Kernlehrplan NRW, nicht nur inhaltlich, sondern auch im Anforderungskatalog. Gleich zu Anfang sei allerdings bemerkt, dass sich dieses neue Buch gegenüber vorherigen mBooks sachlich wie technisch weiterentwickelt hat. Insgesamt zeigt sich damit die Reflexionsarbeit und Entwicklungskraft des mBook-Produktionsteams.

Die Problemkreise von „offenem Geschichtsbild“, „Überwältigungsverbot“ und Konstruktion von Geschichte können hierfür geradezu paradigmatisch stehen. Hier liegt gegenüber dem mBook von 2016 einerseits eine Reihe deutlicher Veränderungen und auch Verbesserungen vor. Andererseits stellen sich an bestimmten Stellen auch weiterhin Fragen, denn bei einzelnen Aspekten wird mitunter ein Weg eindeutiger Positionierungen gewählt, der die Meinung der Autoren sehr stark transportiert. Das ist didaktisch zu hinterfragen. Beispiel: Kapitel 10/12, „Erinnern, Mahnen, Gedenken“ als Formen des Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Hier kann man bei allen drei Kategorien aus didaktischer Sicht auch anderer Meinung sein. Zum ersten bereits in der Hauptüberschrift, die die Auseinandersetzung mit der Naziherrschaft einleitet: „Worüber soll gesprochen werden?“. Der Autor bringt hier die Meinung zum Ausdruck, dass man über den Nationalsozialismus sprechen muss, auch wenn im einleitenden Transparenztext grundsätzlich gefragt wird, ob man „sich auch in Zukunft noch mit der Herrschaft der Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen“ müsse. „Immerhin ist der Krieg schon mehr als 70 Jahre zu Ende. Sollten Menschen nicht auch vergessen dürfen?“
Im zweiten Abschnitt wird konstatiert: „Warum wir den Zivilisationsbruch nicht vergessen dürfen“. Damit wird zwar von einem moralisch höchst verständlichen Standpunkt aus gesprochen: Erinnerung muss sein. Zugleich ist dies natürlich normativ. Dass zur Erinnerungskultur das Vergessen genauso (und legitim) gehört wie das Erinnern, wird damit nicht unbedingt eingeleitet, obgleich etwa die Perspektivik und die durch spezifische Erfahrungen geprägten Erinnerungen einzelner Personen und Gruppen (Soldaten, KZ-Häftlinge, Widerstandskämpfer etc.) gleich im ersten Abschnitt thematisiert werden. Man wünschte sich hier noch mehr Offenheit, denn anderen Konstruktionsmodellen der Erinnerungsgeschichte wird damit zumindest nicht der Weg geebnet. Wie weit gerade bei diesem Thema allerdings Grenzen und Vorgaben durch Gesetze Lehrpläne u. a. vorgegeben sind, darf selbstverständlich nicht unterschätzt werden. Insofern war das Autorenteam wohl durchaus gebunden.
Auch im weiteren Text gibt es Fragen, die ihre Antwort im Material recht nahe und unmissverständlich bei sich führen. Auf die Frage etwa, was der Kern des Nationalsozialismus sei, wird geantwortet, dass dies die Barbarei sei. Und was das bedeutet, wird ebenfalls mit Aussagen erklärt, die sehr eindeutig daherkommen, nämlich damit, dass die Macht- und die Hassgier der Nationalsozialisten keine Grenzen kannte. Wie weit didaktische Reduktion gehen kann und sollte, lässt sich an diesem Beispiel diskutieren. Darauf, Schülerinnen und Schüler Problemlösungsstrategien selbst finden zu lassen, kam es den Autorinnen und Autoren an dieser Stelle also mit Blick auf das die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus leitende Bewertungsgerüst offenbar eher weniger an.
Auch andere Ausführungen zur Erinnerung können Gegenpositionen herausfordern, wenn die Autoren etwa schreiben, dass die Deutschen bei der Erinnerung an die NS-Zeit keine besondere Affinität oder Nähe zum „Dritten Reich“ haben müssten, sondern „nur“ – wie alle Völker – dafür arbeiten sollten, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen. Das ist ein hehres Ziel, in der Tat. Aber gibt es wirklich keine Besonderheit der deutschen Erinnerung an den Nationalsozialismus? Dem Text würde mehr Fragehaltung hier gut tun. Diese Thematik reizt ja in jedem Fall zur Diskussion (speziell auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Herkunft der Schülerinnen und Schüler im Klassenverband). Die Auffassung wird auch mit solcher Bestimmtheit von der wissenschaftlichen Forschung nur bedingt geteilt.

Eine gewisse Festlegung findet sich auch im Kapitel über „Flucht und Vertreibung“. Dort heißt es bei den Fragen im vierten Unterkapitel, den Fragen zum Komplex der „Rattenlinie“ – also der Flucht ehemaliger Nazis, und der Auseinandersetzung mit der Frage, wie mit ehemaligen, heute sehr alten Nationalsozialisten umzugehen sei, die nun vor Gericht gestellt werden – unter den Aufgaben 3: „Warum sind solche Prozesse noch heute wichtig und richtig?“. An dieser Stelle soll somit nicht darüber nachgedacht werden, ob solche Prozesse überhaupt „wichtig und richtig“ seien, sondern Schülerinnen und Schüler sollen Argumente zu ihrer Rechtfertigung finden. Damit sollen sie gewissermaßen die rechtliche Praxis bestätigen. An dieser Stelle wird also keine Offenheit eingeräumt. Immerhin finden sich solche Fragen in anderen Aufgabenbereichen, etwa wenn es um die Debatte über Schuld und Schuldbegriffe geht oder auch, wenn nach der Bewertung der Vertreibungen von Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs gefragt wird.

Einige Bemerkungen schließlich noch zu den speziellen Kapiteln, die sich mit Inklusion und Exklusion als historischen Phänomenen befassen. Dieser Versuch wird auf allen Zeitebenen gemacht und ist eine wirkliche Neuerung. Inwieweit dabei für die Schülerinnen und Schüler Rückwirkungen auf die Inklusion in der Gegenwart ermöglicht werden, wird die Praxis zeigen. Der Versuch ist jedenfalls anerkennenswert, und mit erhobenem Zeigefinger wird in keinem dieser Kapitel gearbeitet. Ein Beispiel ist die (frühe) Neuzeit, mit dem Thema „Freimaurer“ als geheime Gruppenbildung. Bei diesem – scheinbar etwas abseitigen – Thema gelingt es sehr gut, Gruppenbildungen zu problematisieren und diesen neben Positivem auch Negatives abzugewinnen. Gerade ein solches Thema wie die Freimaurer, das für die Schülerinnen und Schüler wahrscheinlich fremd und moralisch nicht vorbelastet ist, mag dazu beitragen, das Thema Gruppenbildung, ihren Sinn und ihre Vorzüge, aber auch Anfeindungen bestimmter Gruppen, Mechanismen von Integration und Exklusion, Aufbau von Feindbildern und Ähnlichem direkt verständlich zu machen. Inwieweit diese historische Analyse helfen könnte, Verhalten in der Gegenwart zu beeinflussen, sei allerdings dahingestellt.

Resümee

Zu welchem Ergebnis kommt man nun bei der Analyse der neuen mBook-Reihe? Geht man auf die klassischen Forderungen der Geschichtsdidaktik ein, sind neben vielen sehr positiven Elementen auch einige wenige Defizite festzustellen. Allerdings könnte schon eine kleine Vernachlässigung von Grundvoraussetzungen wegen der Macht der integrierten Medien bei digital-multimedialen Schulbüchern besonders wirkungsmächtig sein. Die klassischen Forderungen gerade in den mBooks wahrzunehmen und auf sie angemessen zu reagieren, ist damit eine wichtige Aufgabe. Insofern stehen die mBooks noch vor einer Fülle von Aufgaben. Auch sie müssen in Zukunft immer wieder Klärungsprozesse aufweisen und Manches kann noch weiterentwickelt werden. Das aber dürfte bei der Struktur der mBooks, anders als bei konventionellen Schulbüchern, leicht möglich sein – wenn der Wille dazu vorhanden ist.
Was den digitalen Anspruch angeht, so ist festzuhalten: Die Reihe stellt einen größtenteils gelungenen Versuch dar, die mediale Welt in die Geschichtsschulbücher zu integrieren und diese dadurch nicht nur zu verbessern und die grundsätzlichen Anforderungen noch gezielter zu erfüllen, sondern den Lernenden das Fach Geschichte schülergemäß auch näherzubringen. Die neue Form bietet eine Fülle von Chancen, die allerdings noch längst nicht ausgeschöpft worden sind. Aber hier werden in jedem Fall neue Wege aufgezeigt, hinter die neue Generationen von Geschichtsschulbüchern kaum noch zurück können, so die Vermutung. Die Frage jedoch, ob diese Buchreihe einen speziellen Mehrwert an Erkenntnis bietet, der allein – oder vor allem – der Digitalität geschuldet ist, muss wohl (noch) unbeantwortet bleiben. Hier scheint noch Vieles möglich zu sein. Die mBook-Reihe übertrifft heute schon deutlich das, was ein klassisches Schulbuch mit einem großen digitalen „Anhang“ bieten kann. Dabei allein muss es aber nicht bleiben. In jedem Fall steht die Reihe für eine neue Entwicklung, von der noch viel erwartet werden kann. Insofern stellt sie eine große Pionierleistung und eine höchst bedeutende Innovation dar.

Zitiervorschlag: Florian Sochatzy und Marcus Ventzke (Hrsg.), Bildung digital gestalten, Eichstätt 2020, Kap. Das mBook: Ein innovatives Geschichtsschulbuch für das Medienzeitalter? https://bildung-digital-gestalten.institut-fuer-digitales-lernen.de/inhalt/mbook-geschichtsbuch-im-medienzeitalter 23.10.2020. content_copy kopiert!

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