Eine Kamera filmt eine Person, die im Hintergrund nur verschwommen zu erkennen ist. Sie sitzt vor einem Bücherregal.

Visuelle Medien im mBook

Günther Herrler

Die Autorinnen und Autoren des mBooks konzipieren ihre Kapitel multimedial. Sie denken also die Potenziale unterschiedlicher Mediengattungen für die narrative Umsetzung ihrer Darstellungsabsichten von Anfang an mit. Sie treffen Auswahlentscheidungen und machen diese transparent. Sie wählen die darstellerischen Perspektiven und setzen inhaltliche Schwerpunkte. Zudem gestalten sie die Verbindung von Themen und methodischen Vorgehensweisen.
Mediale Produktionen in Form bildhafter Darstellungen orientieren sich in der mBook-Produktion immer an den Konzepten und Ideen der Autorinnen und Autoren. Es tritt also niemals der Fall ein, dass Kapitel nachträglich durch Mediengestaltung ,aufgehübscht‘ und aus Effekthascherei rein illustrative Bilder oder Videos genutzt werden. Jedes Medium, das nicht aus einem didaktischen Gedanken heraus beauftragt wird, hat in der Logik eines mBooks folglich keine Berechtigung. Die didaktischen und wissenschaftlichen Ansprüche an das mBook verbieten dies. Die Fachliteratur im Bereich der Ästhetik sowie der Medien- und Kunstpädagogik weist überdies schon seit Jahren auf die Bilderflut hin, mit der insbesondere Kinder und Jugendliche konfrontiert sind.1
Ein bildhaftes Medium nimmt die Aufmerksamkeit von Rezipienten in Anspruch, um Nachdenken und Erkennen anzuregen. Die Anforderungen an das Kommunikationsdesign richten sich daher auf gelungene didaktische Vermittlungsprozesse aus. Durch die ästhetische Qualität der Medien soll ein neuer Zugang zu Darstellungsweisen und Interpretationsmöglichkeiten von Lehr- und Lerninhalten angeregt werden. Kurz: Es gibt Medien, die direkt zur effektiven Vermittlung genutzt werden, aber auch künstlerische Verfremdung, die bewusst irritiert, etwa um Schülerinnen und Schüler zur Revision vorschneller Positionen und Meinungen anzuregen.
Welche der beiden Varianten in Schulbuchkapiteln gewählt wird, hängt einzig und allein von der Absicht der Autorinnen und Autoren ab. Mediengestalter und Mediendidaktiker in mBook-Produktionen sind also gewissermaßen ,Auftragskünstler‘ der Autorinnen und Autoren und müssen deren Beweggründe mit ästhetischen Mitteln darstellbar und hinterfragbar machen.
Durch das Internet und niedrigschwellige Medienerstellungsmöglichkeiten bewegen sich Medienprodukte gegenwärtig in der Blütezeit einer Remixkultur: Jeder kann Gestalter sein und seine Ideen auch in allen audiovisuellen Kombinationen ausleben. Das produzierte Ergebnis kann ausgetauscht und von anderen wiederum uminterpretiert werden (siehe Memes im Internet und popkulturelle Multizitate). In einem lehrplanorientierten Schulbuch ist es jedoch nicht machbar und auch nicht sinnvoll, all diese Möglichkeiten der Remix- und Medienkultur auszuschöpfen, denn eine absichtsvolle Darstellung bleibt Kern jedes Lehr- und Lernmittels. Ansonsten drohte eine Beliebigkeit angehäufter audiovisueller Reize, die sich Schülerinnen und Schülern oberflächlich anbiedern, aber keine sinngebende Narration bilden.
Die Illustrationen, Videos und Grafiken im mBook hatten und haben also immer den Anspruch, die Balance zwischen Jugend- und Internetkultur sowie didaktischer, bildhafter Vermittlung zu halten. Die Darstellungen sollten auf die Sehgewohnheiten der Lebenswelt von Jugendlichen zurückgreifen und ihnen durch Kontextualisierung neue Blickwinkel auf den Inhalt eröffnen.

Kontext als Grundlage – didaktisch vorgehende Autorinnen und Autoren als Auftraggeber

Die inhaltliche Umgebung des Mediums, das es zu produzieren gilt, ist die direkte Quelle der Bildsprache. Wie eingangs erwähnt, legen die Autorinnen und Autoren die didaktische Zielsetzung fest. Sie sind also in jedem Fall die Auftraggeber für Medienproduktionen.
Entweder haben Autorinnen und Autoren einen direkten Auftrag mit konkreten Vorstellungen und konkreten Kontexten, die sich aus dem Lehrplan ergeben, oder durch die mediendidaktischen Herausgeber des Lehr- und Lernmaterials wurde eine bestimmte Sichtweise auf ein Thema angeregt, die z. B. einen Querschnitt durch die Geschichte einfordert. Ganz gleich jedoch, woher der inhaltliche Input kommt, für den Ablauf der Medienproduktion ist zuerst relevant, ob ein Medium Teil der allgemeinen Orientierung und Strukturierung des mBooks ist oder eine Aufgabe in einem spezifischen, methodisch geleiteten Erkenntnisbereich eines Kapitels erfüllen soll. Im zweiten Falle handelt es sich um Medien, die im Fluss der inhaltlichen Argumentation relevant werden, wie etwa eine Erkundung, ein Animationsvideo oder eine Illustration/Karikatur. Diese Elemente nehmen direkten Bezug auf den Text oder bilden die Grundlage für Aufgabenstellungen.
Bevor jedoch diese Medien in den Blick geraten, stechen den Nutzerinnen und Nutzern bei der Begegnung mit dem mBook andere mediale Elemente ins Auge. Sie sind in die UX eingebunden und tragen zur prinzipiellen Strukturierung des mBooks und seiner Kapitel bei. Das bedeutet, sie sind Teil des sichtbaren Skeletts, das den Aufbau der Oberfläche bestimmt.

Medien zu Beginn des Kapitels

Aus dem Menü und der Nutzerführung ergeben sich vorgeschaltete Elemente, bestehend aus der Überschrift, einem dazugehörigen Bild in der Breite der Textzeilen (Header) mit einer kommentierenden Textzeile. Darunter wiederum folgt der farbig hervorgehobene Dialog- und Transparenztext. Diese Elemente bilden eine Einheit. Sie soll ins Kapitel führen und bereits einen thematischen Kontext schaffen, in dem die Inhalte des Kapitels gewissermaßen ein ,Vorverständnis‘ erfahren. Zugleich entsteht für Rezipienten die Möglichkeit zur Hinterfragung der Perspektive des Autors bzw. der Autorin. Der Header kann dabei auch die Funktion einer Karikatur oder Illustration haben. Meist verbirgt sich schon hinter der Art und Weise der Darstellung des Headers/Headerbildes ein kommentierender Gedanke. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Aussagen und Ausrichtungen des Kapitels ist für Medienproduzenten somit unausweichlich. Sie müssen einen medialen Dialog eröffnen, um mit ihren Mitteln eine weitere Perspektive auf die Positionierung des Autors oder der Autorin eröffnen zu können. Medienproduzentinnen und -produzenten des mBook-Teams betrachten in dieser Situation ihre Arbeit auf einer Metaebene, reflektieren die Motivationen und Absichten, mit der sie Themen/Inhalte darstellen, aber bis zu diesem Punkt ist es ein Selbstgespräch. Um die Multiperspektivität eines entstehenden Kapitels noch transparenter zu machen, eignet sich eine andere ästhetische Ausdrucksweise, die entweder die ursprünglichen Intentionen offenlegt, unterstreicht, übertreibt und erweitert, oder ihnen widerspricht, sie anzweifelt, hinterfragt oder verschleiert, kurz: karikiert.
Meist nimmt das Headerbild Bezug auf den Transparenztext oder die Überschrift, um eine schnelle Einordnung zu ermöglichen. Ob sich so schnell, also sozusagen mit einem Blick, auch die Bedeutung des Headers umfänglich entschlüsseln lässt, darf indes bezweifelt werden. Die Ambivalenz der Interpretierbarkeit ist jedoch durchaus beabsichtigt. Das selbstständige Denken der Rezipienten wird ständig herausgefordert und angeregt. Die Ideen zu den Headern ergeben sich also in einem Spannungsverhältnis zu den von Autorinnen und Autoren gelieferten Texten und Kontexten. Durch deren ,Übersetzung‘ in eine andere ästhetische Ausdrucksweise wird das Spektrum des Inhalts in medialen Ausdrucksformen weiter ausgeleuchtet.2

Medien im Verlauf des Kapitels

Erkundung

In einer Erkundung sollen Informationen portioniert und nacheinander zugänglich gemacht werden. Auf einer bildlichen Darstellung werden also klickbare Punkte definiert, die als Annotationen Elemente des Bildes erläutern, kommentieren oder auch mit Aufgabenstellungen versehen. Die konkret zu vermittelnden Situationen, Details oder Infografiken geben somit sehr eng vor, wie die Mediengestaltung in diesem Kontext auszusehen hat.

Erkundungsbild mit klickbaren Punkten zur Erläuterung der altägyptischen Landwirtschaft aus dem mBook für das Fach Geschichte.

Erkundungsbild mit klickbaren Punkten zur Erläuterung der altägyptischen Landwirtschaft aus dem mBook für das Fach Geschichte.

In dieser Abbildung ist ein Beispiel dargestellt, in dem es weniger um Abstraktion, sondern eher um beschreibendes Illustrieren der landwirtschaftlichen Organisation des alten Ägypten geht. Da das didaktische Ziel in der Nachvollziehbarkeit der agrarwirtschaftlichen Bauten, Vorgänge und Landschaftseingriffe liegt, kann man hier von einer Gebrauchsgrafik sprechen. Es gibt kaum Interpretationsspielraum, da keine weiterreichenden Narrative berührt werden. Dennoch gibt es durchaus einen zu beachtenden Kontext. Da es sich in diesem Beispiel um ein Thema der Klassenstufe 5 bis 6 handelt, ist eine kinderfreundliche Farbwahl empfehlenswert (und auch realisiert worden). Bis hierhin ist also kein großer Unterschied zum analogen Medieneinsatz zu sehen – mit einer wichtigen Ausnahme: Zu den Prinzipien des Medieneinsatzes im mBook gehört die direkte Einbindung des Mediums in das Kapitel, also den Text des Autors / der Autorin. Im Produktionsprozess kann das aber beispielsweise auch bedeuten, dass die zu den klickbaren Punkten auf dem Bild gehörenden Informationen noch nicht fertiggestellt sind. Diese Informationen bleiben im mBook bis zum Abschluss der Produktion und auch nach Veröffentlichung theoretisch veränderbar, weil die klickbaren Punkte der Erkundung im Redaktionssystem des mBooks (Backend) direkt editiert werden können.
Die Kommunikation zwischen Autorinnen und Autoren sowie Mediengestalterinnen und -gestaltern muss also mit Fachwissen, didaktischem Sachverstand und immer im Kontext des Kapitels geschehen. Entschließt sich beispielsweise ein Autor oder eine Autorin im Nachhinein, den Inhalt eines klickbaren Punktes im Autorentext vorwegzunehmen, kann er ihn selbstständig im Backend aus der Erkundung löschen, ohne dass sich die unter den einzelnen Klickpunkten liegende Grafik verändert. So lassen sich genauere Ausrichtungen (medialer) Inhalte auch noch nach der Medienproduktion umsetzen. Der Aufwand, etwas Funktionsgleiches mit nichtdigitalen Mitteln zu produzieren, wäre ungleich höher, komplizierter und materialintensiver.

Bewegtbild

Bei Animationsfilmen ist der künstlerische und damit auch interpretierende Einfluss auf die Gestaltung des Mediums größer. Hier ist neben dem Kontext des Kapitels eine weitere Ebene in der Planung des Mediums vorhanden. Diese Ebene hat eine textliche Grundlage: das Drehbuch. Um die Ideen von Handlung, Bildebene und Sprecherebene gut zu verschränken, sind Planungsstrukturen nötig. Autorinnen und Autoren bringen ihre Vorstellungen also in die Form eines Drehbuchs. Bei der Verschriftlichung sollten sie möglichst in Szenen denken und die Bildebene konkret benennen. Der Sprechertext ist für Autorinnen und Autoren meist problemlos zu erstellen, denn für die Übertragung von inhaltlichen Informationen in Sprache ist zunächst wenig Vorstellungskraft nötig. Größere Probleme bereitet oftmals der Sprung auf die bildhafte Ebene. Hier muss kollaborativ ein Weg für jede Szene gefunden werden. Kann der Autor oder die Autorin kein konkretes Bild vermitteln, ist es sinnvoll, die Absicht zu verschriftlichen, z. B.: „Hier stelle ich mir eine Visualisierung für … vor.“ Für Mediengestalterinnen und -gestalter können auf diesem Wege Ideen medialer Umsetzung entfaltet werden.
Auch hier mag man einwenden, dass die Lösung solcher Probleme zu den Grundanforderungen an Kommunikationsdesignerinnen und -designern gehört, die im Kontakt mit Auftraggebern mediale Darstellungsmöglichkeiten erarbeiten. Wo also ist der Unterschied zur mBook-Produktion? Er liegt in der Überschneidung der Kompetenzen: Alle Beteiligten der Medienproduktion sind fachlich und (fach-)didaktisch gebildet und können die Perspektive des anderen verstehen und weiterführen. Autorinnen und Autoren können fachliche Impulse geben. Für Gestalterinnen und Gestalter ergibt sich eventuell auch durch fachinhaltliche Vorkenntnisse ein Filter. Soll z. B. ein Video für ein Geschichtsbuch in einem gewissen historischen Zeitabschnitt spielen, so können etwa der Vergangenheit ähnliche Symbolwelten der Gegenwart zur Darstellung von Macht, Institutionen oder Geschehnissen vorausgesetzt werden. Das Drehbuch erfährt als kollaboratives Dokument ein ständiges Feedback. Um dabei nicht den Faden zu verlieren, ist es sinnvoll, von Anfang an ein didaktisches Video in der unterrichtlichen Verwendungssituation zu denken. Es sollte also von Szene zu Szene die Erreichung von Lernzielen oder Kompetenzen anstreben. Ist eine Szene mit Blick darauf nicht nutzbringend, sollte sie weggelassen werden. Hat sie jedoch den Sinn, eine weitere Szene vorzubereiten, enthält selbst aber keinen direkten didaktischen Nutzen, muss auch die Qualität der Erzählung Beachtung finden. Die inhaltlichen Schritte sind in der kreativen Phase der rote Faden, an dem erzählerisch die Szenen aufgehängt werden. Wichtig ist es dabei auch, den Narrationen an sich Gewicht zu geben, um nicht immer nur reine Erklärfilme zu produzieren.
Zum einen befindet sich das Bewegtbild gegenwärtig in der Hochphase seiner Produzier- und Publizierbarkeit. Die Möglichkeiten Lernender, über große Videoplattformen an portioniertes ,Wissen‘ zu gelangen, wachsen beständig. Dies führt dazu, dass auch mediale Produkte von Bildungsmedienanbietern für den sogenannten Nachmittagsmarkt noch zielgerichteter sind und mit zum Teil aufwendigem Artwork einzelne Informationspakete bündeln und medial präsentieren.
Umso wertvoller sind daher jedoch Netzwerke aus Bildungsmaterialien, in denen die unterschiedlichen Medienarten verwoben sind. Sie ermöglichen die Entstehung inhaltlicher Tiefe. Daraus folgt, dass die einzelnen Medien keine abgeschlossenen Erzählungen/ Erklärungen beinhalten müssen. Es darf offene Enden geben. Fragestellungen können bestehen bleiben oder in konkrete Aufgabenangebote münden. Das mBook und dessen einzelne Kapitel verstehen sich als kohärente Netzwerke unterschiedlicher medialer Angebote. Sie sollen Synergien entfalten und Lernenden vertiefende oder erweiternde Angebote zur Verfügung stellen. Mediales Lernen kann auf diese Weise individualisiert und graduiert werden.
Für die Ausrichtung eines Drehbuchs ist es darum oftmals sinnvoll, eher anhand eines Phänomens oder Beispiels demonstrativ zu zeigen, statt allgemein zu erzählen.
In einem mBook für das Fach Geschichte sind Audios und Videos eine sinnvolle Möglichkeit, einen Erzählprozess erlebbar zu machen. Geschichte schlägt sich in Narrationen nieder, die oft auch medial gerafft sind, um Zeit im Überblick darstellbar zu machen. Video und Audio sind Medien, die in vergehender Zeit stattfinden. Dabei bieten sie Sinnbildungen an, zumindest solange sie didaktische Intention haben.
Zusammenfassend gilt: Das Medium ist keine Zierde, kein Angebot für ein unbegründetes Entertainment von Schülerinnen und Schülern und auch kein bezugsfreies Wissenspaket. Es muss den Erwerb von Kompetenzen unterstützen, selbstständiges Denken ermöglichen und in verschiedenen Kontexten anwendbar sein, ohne dabei eine hermetisch abgeriegelte und leicht konsumierbare Lernlektion zu sein.

Reduktion und Deutlichkeit

Darstellende Künste legen sich in ihrer Ausdrucksform fest, um Verdeutlichung von Phänomenen, Gedanken und Ideen zu werden. Oder andersherum: In der ästhetischen Form erkennt man ihre Deutungsmöglichkeit. Der vorangegangene Abschnitt bezog sich auf den Kontext der Medien und Kunstwerke im mBook. In diesem Abschnitt soll es nun um konkrete Schritte in die Praxis gehen, bei der zwei Aspekte zu berücksichtigen sind: Die didaktische Reduktion und der an das Medium zu richtende Anspruch kommunikativer Deutlichkeit. Vollkommene Abstraktion und Assoziationsfreiheit sind bei einem didaktisch gebundenen Medium meist nicht zielführend. Ist der didaktische Kontext geklärt, endet die Absprache mit Autorinnen/Autoren. Die Umsetzung des Auftrags mündet in einer konkreten Idee und einem ersten medialen Niederschlag. Um die Aussage des Mediums diskutieren zu können, bedarf es anschaulicher Beispiele, die im Folgenden zu sehen sind.

Überschrift des Kapitels „Der Investiturstreit: Papst oder Kaiser, Gregor oder Heinrich?". Zu sehen ist eine Bildcollage die kaiserliche und päpstliche Seite andeutet. Darunter steht der einleitende Text des Kapitels.

Header aus dem Kapitel 14.3 des mBooks für das Fach Geschichte

Am Header 14.3 des mBooks für das Fach Geschichte wird deutlich, wie bei einem klassischen Thema des Geschichtsunterrichts (Investiturstreit) die Fragestellung der Autorin / des Autors bebildert werden kann. Dabei ist der Machtkampf zwischen Kaiser und Papst die gewählte Grundlage der bildlichen Darstellung. Papst und Kaiser stritten um die Ordination der Bischöfe, weshalb die drei Ämter König, Papst und Bischof im Bild deutlich erkennbar sein müssen. Die Bischöfe sind dabei die Spielfiguren, die von den Kontrahenten verschoben werden und hilflos dreinschauen. Papst und Kaiser sind hier nur durch ihre Insignien der Macht (Reichsapfel, Wappen und Dreifachkreuz des Papstes) zu identifizieren und werden durch die Montage verschiedener Stile als Bilder zur Geschichte erkennbar. Sie wollen nicht als Bildquellen verstanden werden. Die Gesichter sind nicht zu sehen. Der Blick des Betrachters wird auf die Gesten gelenkt. Kaiser und Papst greifen nach der Spielfigur. Die Insignien des Kaisers sind dabei einer historisierenden Darstellung eines anderen mittelalterlichen Kaisers entnommen, lassen sich also nicht mit König Heinrich IV. in Verbindung bringen, der den Investiturstreit führte. Da es aber visuell einerseits nur historisierende Rückgriffe auf die involvierten Personen gibt, die meist aus dem 19. Jahrhundert stammen, und der Fokus andererseits nur auf den Reichsinsignien liegt, bieten sich zur Reduktion der Darstellung Handschuh und Reichsapfel an. Bei der Collage des Papstes sind Fischerring und Priestergewand auch mit den Insignien anderer Bischöfe verwechselbar. Zur Verdeutlichung werden Pontifikalskreuz als Stab und das Siegel aus Tiara und Petrusschlüssel verwendet. Der Boden unter der Bischofsfigur ist im Schachbrettmuster gehalten, dessen Felder zu klein sind, um einen eindeutigen Standpunkt der Figur ausmachen zu können. Durch seine Farbe ist der Bischof zwar als weiße Figur erkennbar, aber nicht einem der Kontrahenten zuzuordnen. Die Anspielung, dass die Schachfigur des Läufers im Englischen „Bishop“ genannt wird, ist für das Verständnis nicht essenziell, kann also eher als zusätzliches Augenzwinkern, als Witz verstanden werden. Der Bischof lässt sich durch seine geduckte Figur ohne Beine als Opfer der Situation bzw. Objekt des Streites erkennen. Mitra und Hirtenstab weisen seinen Status aus. Auf den ersten Blick sieht man eine naturalistisch anmutende Oberfläche in den einzelnen Collagen, doch bei näherem Hinsehen offenbart sich die Darstellung des Kaisers als fotografierte Malerei. Die gelbe Farbfläche und die grobe Montage des Papstsiegels legen den Charakter der Bildbearbeitung offen und haben einen klar gesetzten Bezug zur Kapitelfarbe Gelb. Die Überdimensionierung der Schachfigur in Bezug auf das Schachfeld sowie die unterschiedlichen Stile der Kontrahenten geben dem Header einen karikaturistischen Charakter, bleiben aber nahe an der Fragestellung des Dialog- und Transparenztextes.
Durch dieses Vorgehen werden eine Reduktion auf das Kernthema und die deutliche Darstellung des Konflikts erreicht. Gleichwohl ist es möglich, weiterführende Fragen zum Thema zu stellen. Der Investiturstreit kann unter bestimmten Rahmenbedingungen stellvertretend für mittelalterliche Machtkämpfe stehen. Dieser Aspekt wurde im vorliegenden Beispiel jedoch nicht in die Bildebene integriert und bleibt daher weiterführenden Gedanken (und eventuell auch weiteren medialen Elementen) der Autorin / des Autors überlassen. Die Möglichkeiten multimedialer Assoziationen sollten dabei berücksichtigt werden.
Es ist wahrscheinlich, dass Wappen, Insignien und Siegel im Geschichtsunterricht, wenn sie dort überhaupt eine Rolle spielen, ohne interpretative Spielräume eingeführt und klar benannt werden. Dies führt zu den Aspekten medialer Darstellungen, die nicht leicht zu fassen sind und bei der didaktischen Reduktion oftmals außen vor gelassen werden: Betrachter und Betrachterinnen müssen eine bestimmte Symbolik und deren Funktionen entweder kennen oder ihnen in einem anderen medialen Zusammenhang begegnen. Warum also nicht z. B. den Weg einer einheitlichen Ästhetik und leicht erkennbarer Protagonisten wählen, der auch in analogen Illustrationen möglich ist? Weil mit diesem Vorgehen eine medienkritische Beobachtung der gestalterischen Beschaffenheit aus dem Blick geraten kann.

Fotomontage und Collage als ästhetische Verhüllung

Sucht man bildhafte Darstellungen etwa zum Thema Investiturstreit, so stößt man auf drei Typen von Bildern: Erstens finden sich mittelalterliche Buchmalereien mit einem geringen Wiedererkennungswert für heutige Betrachter. Zweitens gibt es historisierende Darstellungen einer Streitszene, die zumeist aus dem 19. Jahrhundert stammen, so beispielsweise „Die Gefangennahme des Papstes Paschalis“ von Karl Friedrich Lessing aus dem Jahr 1840. Und drittens kann man (wenige) Versuche in Form karikierender Federzeichnungen entdecken, die Papst und Kaiser entweder im Streit oder am Schachbrett zeigen.
Wieso ist es für ein multimediales Schulbuch wichtig, dass in den Headerbildern eine zeitgemäße Bildsprache benutzt und keine Darstellung der drei genannten Typen gewählt wird? Es gibt ästhetische Verhüllungen, die sich Betrachtern als solche offenbaren: Ein Historiengemälde mag vielleicht in seiner Aussage entschlüsselbar sein und auch von Schülerinnen und Schülern de-konstruiert werden, dennoch ist damit keine Brücke zur aktuellen Medienwelt und Mediennutzung geschlagen, die es zu schulen gilt. Zeitgenössisch medienkompetent zu sein bedeutet, die Remixkultur der Gegenwart in ihren Sehgewohnheiten reflektieren zu können. Als Beispiel hierfür dient das Cover des Albums „Mona Lisa“ der Künstler Apollo Brown und Joell Ortiz (Mellow Music Group 2019). Trotz eindeutiger Verfremdung, in der neben dem ikonischen Lächeln sogar das ganze Gesicht entfernt wurde, ist die Referenz klar zu erkennen. Die Ästhetik ist deutlich an moderner Farbgebung und digitaler Vektorgrafik angelehnt. Der Betrachter weiß um die Andeutung, aber auch um die Aktualität. Die Verhüllung der Aussage in einer Photoshop-Collage kann daher ein Weg sein, die Medienproduktion als solche zu kommunizieren und transparent zu machen. Die Collage lässt sich über die Analyse der Herkunft und Machart sowie über die Überlieferungsgeschichte ihrer einzelnen Bildelemente dekonstruieren. Dabei folgt man – zumal im digitalen Zeitalter – sehr oft der Logik des Links: Man prüft jene Angaben, die auf Ort, Art und Kontext der originalen Bildmaterialien verweisen. Das entspricht überdies jenem Umgang mit Medien, der den Jugendlichen bekannt ist und den sie im Baarkschen Sinne selbst nutzen können, um Medien herzustellen.3 Das Siegel des Papstes mag jüngeren Lernenden schon von der Ästhetik von Vektorgrafiken bekannt sein, wenn sie etwa bei Wikipedia recherchieren. Die damit verbundene Anknüpfungsmöglichkeit an historische Inhalte würde in einer Konfrontation mit einer Federzeichnung jedoch wahrscheinlich verloren gehen. Die Methode der Verhüllung kann daher eine wichtige didaktische Dimension transportieren: Sie zeigt und deutet die Aussage an, lässt aber weiterführende Ideen und Eindrücke zu.
In der mBook-Medienproduktion müssen Autorinnen und Autoren als Auftraggeber zuletzt darüber urteilen, ob dieser Verhüllungsprozess gelungen ist oder nicht. Sie akzeptieren das Ergebnis oder denken mit Gestalterinnen und Gestaltern über Korrekturen bzw. neue Umsetzungsideen nach. Zu offensichtliche Verhüllungen fügen den Dialog- und Transparenztexten keine neuen Aspekte hinzu, sie machen Themen eher uninteressant oder wirken dekorativ, statt Fragen anzuregen. Zu viel Verhüllung kann zu Verkünstelung führen und dazu anregen, Aussagen zu unterstreichen oder ihnen zu widersprechen. Der zu verhüllende Gegenstand wird nicht mehr erkannt.

Ästhetische Verhüllung auch in der Videoproduktion?

Beim Stichwort Verhüllungskunst mag man vielleicht zuerst an den Künstler Christo denken. Diese Assoziation ist recht sinnfällig und sie erlaubt es, das Bild der Verhüllung weiter zu adaptieren und auf „Bewegtbildmedien“ zu übertragen. Christos Kunstform bezeichnet man auch als Assemblage, was als Collage der Objekte verstanden werden kann. Bei stehenden Bildern kann man an der sichtbaren ,Oberfläche‘ die Darstellung leichter entziffern, also unterschiedliche Quellen zuordnen. Unterschiedliche Stile und Grafiken zu mischen und die damit verhüllte Aussage anzudeuten, funktioniert nur, wenn Auge und Gehirn Zeit haben, nach den Bezügen zu suchen oder Symbole, Gegenstände und Personen wiederzuerkennen. Muss das Gehirn jedoch Bewegtbilder verarbeiten, bei denen auch noch Geräusche und Sprache hinzukommen, wäre die Gefahr der Überforderung sehr schnell gegeben. Hier einen Mix aus verschiedensten Strukturen, Mustern oder filmischen Originalzitaten zu nutzen, ist auch inhaltlich kaum umsetzbar, da zeitliches und bildliches Erzählen mehr Ordnung, Reduktion und Eindeutigkeit erfordert, um nicht missverstanden zu werden. Auch bei Christo fand die Verhüllung selten an bewegten Objekten statt.

Was heißt das für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Medienbereich?

Als Fazit für die Medienproduktion in mBook-Projekten lässt sich festhalten: Autorinnen und Autoren sowie Medienproduzentinnen und -produzenten müssen sich vertieft mit Themen auseinandersetzen und durch einen präzisen didaktischen Weg zu einem Medium gelangen. Für jedes Unterrichtsfach werden je eigene didaktische Grundlagen und fachliche Spezifika genutzt und somit eigene Qualitätsstandards für das Kommunikationsdesign etabliert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Teams müssen ihre Kompetenzen zusammenführen, um der Komplexität und der Verknüpfung multimedialen Lernens gerecht zu werden. Zusammengeführte Kompetenzen unterschiedlichster Bereiche der Didaktik und Medienproduktion sind zielführender als die sukzessive Inanspruchnahme von Einzelfähigkeiten eng abgesteckter Fachbereiche.

Zitiervorschlag: Florian Sochatzy und Marcus Ventzke (Hrsg.), Bildung digital gestalten, Eichstätt 2020, Kap. Visuelle Medien im mBook https://bildung-digital-gestalten.institut-fuer-digitales-lernen.de/inhalt/visuelle-medien 23.10.2020. content_copy kopiert!

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