Welche Welt werden Kinder, die heute in die Grundschule kommen, als Erwachsene vorfinden?
Diese Frage ist umfassend, lädt zum Spekulieren ein, lässt sich ausgiebig diskutieren, kann Euphorie, aber auch Ängste schüren – und lässt sich letztlich erst in etwa zwölf Jahren beantworten. Dennoch müssen sich alle für die Bildung von jungen Menschen Verantwortlichen jetzt dieser Frage stellen und aus den Antworten die Bereitschaft entwickeln, das, was heute Schule für uns bedeutet, den Gegebenheiten dieser Zukunft anzupassen. Und, wenn nötig, auch grundlegende Veränderungen in Betracht ziehen.
Auch für den Deutschunterricht gilt es, alles auf diesen Prüfstand zu stellen. Wir können nicht länger im Unterricht neue Literaturbegriffe und Schreibformen ignorieren, aber selbst täglich Wikis, Blogs und neue Unterhaltungsformate konsumieren. Während die Erwachsenen das Internet ganz selbstverständlich auch im Arbeitsalltag nutzen, zeigen wir Schülerinnen und Schüler nur an ganz wenigen Stellen, wie sie es als Arbeitsmittel einsetzen können. Wir dürfen uns nicht nostalgisch an die gute alte Zeit klammern und die Hinwendung zur digitalen Gegenwart mit dem Scheinargument ablehnen, dass Lernende den Lehrenden in „diesen Computersachen“ ohnehin meist weit voraus sind.1
Die Skepsis mancher (Deutsch-)Lehrkräfte2 – zu deren Berufsstand auch die Verfasserin dieses Artikels zählt, ist verständlich: Sind wir doch im Herzen (auch) bibliophile Geisteswissenschaftler, die das immense Kulturgut, das in der Literatur zu erfahren ist, an kommende Generationen weitergeben möchten. Und da gibt es aus der analogen Zeit mehr Material als in einen Lehrplan passt. Zudem sehen viele sehen das ,Daddeln‘ am Bildschirm kritisch und befürchten, dass digitale Lehr- und Lernmittel zwar kurzzeitig einen motivierenden Effekt haben, auf lange Sicht aber die Kernkompetenzen des Deutschunterrichts nicht so gut fördern wie etablierte Bücher und Übungsformen.
Dieser allgemeinen Angsthaltung gegenüber dem Neuen und der Glorifizierung des Bestehenden kann häufig mit guten Argumenten widersprochen werden – man vergleiche etwa den Schundroman in Buchform mit einem narrativ hochkomplexen interaktiven Computerspiel mit historischem Inhalt und Hintergrund.
Leider genügt es nicht, die momentanen Gegebenheiten durch ein paar methodische Neuerungen aufzupeppen. Eine Unterrichtseinheit, in der Goethes Faust als Snapchat-Story dargestellt wird, ist zwar lustig und als Experiment sinnvoll, greift aber für die nötige Diskussion zu kurz: Was möchte zeitgemäßer Deutschunterricht erreichen?
Es wäre wünschenswert, dass diese Frage nicht nur von einigen wenigen Digitalenthusiasten geführt wird, sondern in den Fachschaften, in Schülergesprächen und auf Elternabenden ankommt. Denn sie ist fundamental: Wie sollen wir der Tatsache Rechnung tragen, dass „die Mediensozialisation heutiger Jugendlicher […] in einem Maße durch die digitalen Medien geprägt [ist], dass weder Deutschdidaktik noch Deutschunterricht diesen Sachverhalt (länger) ignorieren dürfen“3? Das würde in letzter Konsequenz bedeuten, die neuen Medien nicht nur als Additum zum momentanen Deutschunterricht zu sehen, sondern digitale Medien in das Zentrum des Deutschunterrichts zu stellen.
„Der Stoff tritt neben das digitale Lernen, welches in den Vordergrund tritt. Wer in der Lage ist, eigene Lernprozesse digital zu dokumentieren, sich mit Lernenden und Fachleuten digital zu vernetzen, Fragen zu stellen und zu beantworten, Inhalte digital aufzubereiten und zu dekodieren, kann letztlich den Stoff selbstorientiert bewältigen, sich den Stoff gar selbst geben. Digitale Medien stehen im Zentrum des Deutschunterrichts, sie sind es, worum es geht.“4
Die von Wampfler aufgelisteten Fähigkeiten können getrost als bedeutsam für die Arbeitswelt der Zukunft eingestuft werden – sie sind es ja heute schon.
Dennoch müssen wir einsehen, dass es momentan kleine Schritte sind, mit denen die hier geforderte Bewegung im Bildungswesen vonstatten geht. Darum müssen Übergangslösungen angeboten, in der Praxis erprobt und immer weiter verbessert werden. Als Prototyp einer solchen Übergangslösung versteht sich das mBook Deutsch. Es versucht sich am Drahtseilakt: Einerseits möchte es möglichst viele Lernende und Lehrende einladen, digitales Arbeiten im Rahmen eines Lehrplans auszuprobieren, andererseits stellt es neue didaktische, inhaltliche und technische Ansätze zur Erprobung und zur Diskussion. Um die Vielschichtigkeit dieser Anforderungen an das mBook abzudecken, benötigt es ein durchgängiges Konzept, das nicht nur den Lehrplan umsetzt, sondern auch didaktische Designs, medienpädagogische Lerninhalte und digitale Arbeitsmethoden schrittweise aufbaut.
Der vorliegende Text soll zunächst zeigen, wie die Konzepte und Erfahrungen der mBooks Geschichte für ein Deutschlehrwerk genutzt wurden, und soll dann anhand mehrerer Beispiele verdeutlichen, wie Kompetenzbereiche des Deutschunterrichts konkret umgesetzt wurden. Abschließend wird es einen Ausblick auf Ideen für künftige Neuentwicklungen geben.
Der vorliegende Artikel ist in der Endphase der Entwicklung dieses Prototypen entstanden. Daher können manche Elemente noch nicht mit Beispielen veranschaulicht werden, da sie sich noch in der (technischen) Entwicklung befinden.
Die aus den mBooks Geschichte etablierte Produktionsstruktur wurde für das mBook Deutsch beibehalten.5
Verantwortlich für Inhalte und didaktische Umsetzung ist hierbei ein „Head of Content“, dem ein breit gefächertes Team aus Autoren/Autorinnen, Medien- und Literaturkundigen zuarbeitet. Schon im Entstehungsprozess der einzelnen Kapitel werden erste Videos, Audios und technische Weiterentwicklungen umgesetzt – immer im Austausch mit den Autorinnen und Autoren und dem Head of Content. Diese interdisziplinäre Arbeitsweise wird in allen Schritten mit den mediendidaktischen Herausgebern, die auch für die mBooks Geschichte verantwortlich waren, abgesprochen. So entsteht ein Lehrwerk, das nicht nur fachdidaktisch durchdacht und praxisnah ist, sondern auch vom Konzept und den Erfahrungen des mBooks Geschichte profitieren kann.
Das mBook Geschichte fußt auf einer umfassenden theoretischen Begründung, in deren Zentrum der Wunsch stand, nicht nur ein multimediales Schulbuch zu entwickeln, sondern darin auch eine kompetenzorientierte Didaktik zu verwirklichen, die „auf den Grundprinzipien Konstruktionstransparenz, Individualisierung, Multimedialität“6 basiert. Diese Prinzipien werden im mBook Deutsch auf die Anforderungen des schulischen Deutschunterrichts übertragen. Der Anspruch, nicht nur fachliche Kompetenzen aufzubauen, sondern auch eine Vorbereitung auf eine Zukunft der Lernenden als Bürgerinnen und Bürger einer digitalen Welt zu leisten, wird damit auch an den Deutschunterricht gestellt. Wie man den Erwerb der vielerorts diskutierten „21st Century Skills“7 anlegen kann, will das mBook Deutsch mit zahlreichen Beispielen erfahrbar machen. Denn die Annahme, dass heutige Kinder und Jugendliche durch ihr Aufwachsen in einer mehr oder weniger digitalisierten Welt einfach so zu kompetenten und versierten Nutzern der digitalen Möglichkeiten werden, ist ebenso falsch wie die Annahme, dass sie umfassend um die Gefahren und Manipulationsmöglichkeiten wissen. Gerade in der „alltäglichen Verwendung digitaler Angebote verlieren nicht wenige Nutzer die Distanz zu deren Konstruktion“8. Daher kann es in der schulischen Bildung nicht nur um die versierte Nutzung der technischen Möglichkeiten unserer Zeit gehen. Jeder Lerner braucht eine „vertiefte Analysefähigkeit dieser so überzeugend wirkenden digitalen Konstruktionen. Nur so werden Nutzer in der Lage sein, der digitalen Welt nicht unkritisch zu erliegen, sondern sich der unbestreitbaren Potentiale und Möglichkeiten mündig bedienen zu können“9. Das kann nicht nur Aufgabe eines spezifischen Schulfachs sein, sondern sollte möglichst früh in allen Fächern eine Rolle spielen.
Das mBook Geschichte wie auch das mBook Deutsch erweitern die methodischen, medialen, aber auch didaktischen Möglichkeiten im Vergleich zu einem gedruckten Lehrwerk, indem sie Aktualität, Interaktivität, Anschaulichkeit, Differenzierung und Multiperspektivität in das Zentrum der Umsetzung stellen.10 Wie eine solche Lernumgebung gestaltet sein sollte, beschreibt Marcus Ventzke und stützt sich dabei auf das Paradigma von Jörg Zumbach.11 Hierbei geht die Nutzung von Technologien zur Informationsgewinnung und Kommunikation einher mit einem Prozess aktiver, erarbeitender Erkenntnisgewinnung: Die digitale Lernumgebung muss einem Konzept folgen, das die „cognitive load“12 so ausbalanciert, dass Kohärenz und konkrete Vermittlungsabsicht im Vordergrund stehen, da „die kohärente Verknüpfung der Elemente des Buchs/der Buchseite einen entscheidenden Einfluss auf die erfolgreiche Arbeit und letztlich auf den Lernerfolg hat“13. Ein multimediales Lehrwerk kann diese Lernumgebung passgenauer herstellen als gedruckte Werke: Da es keine Beschränkungen hinsichtlich des Umfangs hat, kann es mit unterschiedlichen Angeboten daran arbeiten, die intrinsische kognitive Belastung zu reduzieren, indem es beispielsweise Vorwissen durch Zusatzangebote bereitstellt. Das befähigt die Lernenden, ihre eigenen Lernwege zu beschreiten; dadurch wird verhindert, dass sie möglicherweise ,abgehängt‘ werden.
So wie Marcus Ventzke für das Schulbuch im Fach Geschichte fordert, die Kategorie der Zeit neu zu denken und in jedem Element des Geschichtsbuchs zugrunde zu legen, müssen für den Deutschunterricht die Begriffe Sprache, Literatur und Kommunikation auf ihren Gegenwartsbezug hin angepasst werden.14
Die Entscheidung, bewährte Methoden und Inhalte aus der gegenwärtigen Unterrichtspraxis zu übernehmen, sichert die direkte Anwendungsmöglichkeit im schulischen Alltag, ohne auf eine Öffnung des didaktischen Konzepts zu verzichten. „Es entsteht eine klare, den jeweiligen Lehrplan umsetzende Struktur, in der jedoch viele unterschiedliche Lernwege, Denk- und Arbeitsprozesse möglich sind. […] ,Lost in hyperspace‘ soll vermieden werden.“15 Sochatzy und Ventzke fordern von den digitalen Inhalten im mBook einen Mehrwert und Neuwert in Bezug auf Fragestellung, Methodik, Erzählabsicht und Schülernähe und verlangen, dass Videos, Animationen, Audios, Galerien und interaktive Elemente nicht nur Selbstzweck sind.16
Dies führt in letzter Konsequenz zum maßgeblichen Dreischritt Ziel – Inhalt – Methode, der auch im mBook Deutsch angewendet wurde und auf eine reflektierte und progressive Kompetenzorientierung hinwirkt.
„Das mBook Projekt versteht die Kompetenzorientierung nicht als eine didaktische Einzelmethode […], sondern als einen Paradigmenwechsel, der weitreichende Veränderungen für die primäre Begründung des Fachs / der Fächer und die Zielbestimmung des Unterrichts überhaupt hat: weg vom statischen Wissen hin zu einem strukturierten und systematischen Wissen, das Anschlussfähigkeit besitzt, eigenständiges Weiterdenken befördert und Anregungen zum Gestalten von Bewusstsein und Welt transportiert.”17
Hinter dem oben genannten Dreischritt stehen die Fragen Warum? Was? Wie? „Nur die Themen, die bei der Frage nach dem Warum für eine Klassengemeinschaft ein Orientierungspotential aufweisen, besitzen Relevanz“18. Die erste Frage nach dem Warum wirkt sich direkt auf das Was aus: Es kann nicht „allein fachwissenschaftlich, nicht allein fachdidaktisch und auch nicht allein nach allgemeindidaktischen, pädagogischen oder psychologischen Kriterien bestimmt werden“19, erst wenn durch das Warum die Leitidee festgelegt ist, können die Inhalte ausgewählt und durch das Wie die Methode bestimmt werden.20 Die Autoren des mBooks Deutsch mussten daher bei allen Themen darlegen, warum sich die Lernenden damit beschäftigen sollen, bevor die Inhalte und Methoden festgelegt werden konnten. Diese Transparenz soll für die Lernenden an jeder Stelle ersichtlich sein und sie wird, wie auch in den mBooks für das Fach Geschichte, durch Dialog- und Transparenztexte und -videos zu Beginn eines jeden Kapitels verdeutlicht. Was im mBook den Konstruktcharakter von Geschichte verdeutlicht, kann in Deutsch ebenso eingesetzt werden: Warum hält der Autor / die Autorin aus seiner/ihrer Sicht dieses Thema für einen 11-Jährigen für relevant? Wie ist seine/ ihre Herangehensweise an das Thema? Die Schülerinnen und Schüler werden aufgefordert, ihre eigene Sicht auf das Thema und dessen Bedeutung für ihr Leben zu entwickeln.
Die Vermeidung einer vermeintlichen Objektivität des Schulbuchs gilt somit auch für den Deutschunterricht. Neben der Konstruktionstransparenz möchten die mBooks auch auf die Heterogenität der Lernergruppen eingehen. Da es keine Beschränkung des Umfangs von Zusatzangeboten und Auswahlmöglichkeiten gibt, kann sich ein multimediales Lehrwerk stärker als gedruckte Bücher der Differenzierung widmen. Die Lernenden finden unterschiedliche Angebote und Herangehensweisen, differenzierte Aufgabenstellungen und haben die Möglichkeit, das Buch mit ihren Texten, Notizen und Arbeitsergebnissen zu gestalten.
Das Fach Deutsch ist gut geeignet für den Einsatz digitaler Inhalte und Arbeitswerkzeuge, da die Lerninhalte facettenreich sind und die Kompetenzbereiche stets integrativ behandelt werden. So ist die erste Maxime, die Kompetenzbereiche möglichst ,ihrer Natur gemäß‘ aufzubereiten. Das bedeutet, beispielsweise im Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören viele Audio- und Gesprächsangebote zu machen, beim Thema Lyrik Gedichte zum Klingen zu bringen und die medialen Möglichkeiten zur Erstellung von eigenen Audios etc. zu nutzen.21
In allen Bereichen finden sich Elemente einer mediendidaktischen Progression. Im mBook Deutsch markiert die 5. Jahrgangsstufe den Beginn des digital-kollaborativen Arbeitens, das heute in der Arbeitswelt gang und gäbe ist. Daneben lernen die Schülerinnen und Schüler, digital zu lesen und zu notieren, ohne dass das Lesen von gedruckten Büchern marginalisiert werden soll. Die Textproduktion und das Anfertigen von Notizen ist bei allen Aufgaben digital möglich, aber nicht zwingend. So kann jede Lehrkraft oder auch jeder Lerner entscheiden, in welcher Form Texte entstehen sollen und wie viel handschriftlich notiert wird.22 Da das Überarbeiten längerer Aufsätze und das kollaborative Arbeiten in der digitalen Form deutliche Vorteile bietet, wird an diesen Stellen das digitale Arbeiten empfohlen.23
Ein weiteres Element des mediendidaktischen Kompetenzaufbaus ist der Erwerb von Basiswissen über das Internet sowie eine schrittweise Heranführung an die sichere und kritische Recherche im Internet. Auch digitale Kommunikationsformen (E-Mail, Sprachnachricht, Chat) werden in Beispielen gezeigt, zum Teil in eigenen Methodenkapiteln vertieft und kritisch hinterfragt.
Daneben sollen die Schülerinnen und Schüler aber auch selbst aktiv werden, indem sie Texte digital verfassen, teilen und überarbeiten sowie Audios und Bilder aufnehmen oder Filme konzipieren, die dann im Unterricht Verwendung finden. Durch die enge Verknüpfung von Rezeption und Produktion kann ein vertieftes Verständnis für die Gestaltung im digitalen Raum entstehen, z. B. beim Erkennen von bildlichen oder filmischen Gestaltungsmöglichkeiten.
Während das Sprechen im Deutschunterricht schon immer einen hohen Stellenwert hatte (man denke an das Unterrichtsgespräch, das Verhandeln von Gesprächsregeln etc.), gewann das Zuhören erst in den letzten Jahren an Bedeutung in didaktischen Überlegungen.24
„Die Fähigkeit, beim Hören auszuwählen und verständigungsorientiert zuzuhören, beeinflusst den Erwerb von Kompetenzen, die dem Einzelnen bei der Bewältigung der gesellschaftlichen Anforderungen helfen und das Zusammenleben mit anderen gestalten“25. Jedem Lehrenden sind aus der Praxis Schwierigkeiten, die Schülerinnen und Schüler beim Zuhören haben, bekannt. Aus dem immerwährenden Geräuschpegel ,das Wichtige‘ herauszufiltern und sich darauf zu konzentrieren, ist eine anstrengende Aufgabe, die geübt werden muss. Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass das gesprochene Wort flüchtig ist, für einen Übungseffekt jedoch Wiederholungen sinnvoll wären. Dem kann das mBook Deutsch mit Audio-Angeboten entsprechen. Die Kontrolle über den zeitlichen Ablauf, orts- und zeitungebunden, sowie die Möglichkeit, digitale Notizen zu machen, erhöhen die Verstehens- und Behaltensleistung, wie Gabi Reinmann schon 2011 feststellte.26
Karla Müller zeigt die enge Verbindung zu den Kompetenzbereichen Sprechen und Zuhören, Schreiben, Literatur verstehen und ästhetisch wahrnehmen sowie Leseflüssigkeit und die positiven Auswirkungen von Audios auf das Lernverhalten auf und motiviert damit den Einsatz von Audios auch an ausgewählten Stellen außerhalb der Kapitel über Sprechen und Zuhören.
Ein Beispiel für den Einsatz von Audios findet sich etwa in einer Übung im ersten Kapitel, in der das Vorbringen guter Argumente in Verbindung mit einem freundlichen Ton thematisiert wird. Nachdem zu Beginn des Kapitels das Klassenzimmer sowie die Schülerinnen und Schüler einer ,Tierschule‘ vorgestellt werden, können die Lernenden anschließend zwei Dialoge hören. In beiden Gesprächen bittet der Schüler Peter Panther seinen Fremdsprachenlehrer Herrn Wau, der Klasse an diesem Tag keine Hausaufgaben zu geben. Die Dialoge unterscheiden sich hinsichtlich der vorgebrachten Argumente, des Tonfalls und des Gesprächsausgangs. Die Lerner können die Dialoge beliebig oft hören, anhalten und Notizen machen, um alle drei Untersuchungsebenen zu erforschen (siehe Abbildung unten).
Neben dieser einfachen Darbietung von Audios mit einem rein veranschaulichenden Bild gibt es zu Beginn des Kapitels auch die Verknüpfung von Audios mit unbewegten Bildern, die gleichermaßen Bedeutung für die dazugehörigen Aufgaben haben. Diese Kombination gesprochener Texte mit Bildern kann die Stärken der beiden Modalitäten auditiv-visuell verstärken und deren jeweilige Schwächen ausgleichen. So helfen Bilder, der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes etwas entgegenzusetzen, während das gesprochene Wort wiederum die Bildbetrachtung unterstützt. Wichtig ist, dass durch die Aufgabenstellung das schrittweise Herangehen an eine solche multimediale Aufgabe eingeübt wird und ungünstige Verhaltensmuster wie ein anfangs ,wildes Herumklicken‘ auf alle Audios, ohne die Aufgabe gelesen zu haben, vermieden werden. Daher wird die Aufgabe in zwei Schritten dargeboten:
Zunächst befindet sich im einleitenden Text über der Illustration der „Tiere im Klassenzimmer“ die Aufforderung, das Bild zu betrachten und zu beschreiben, wie sich die Tiere verhalten, ob sie z. B. etwas rufen, sich melden, sich verstecken, gelangweilt/ängstlich schauen, miteinander tuscheln. Erst dann werden die Lerner aufgefordert, sich die Audiospur dieser Szene anzuhören, in der alle Tiere wild durcheinander reden.
Im dritten Schritt können die Schülerinnen und Schüler die Aussage eines jeden Tieres einzeln anklicken und hören. So wird es möglich, zu vergleichen und zu diskutieren, welche Wortmeldung für das Gespräch in der Klasse konstruktiv ist (z. B. Vorschläge machen, aufeinander eingehen etc.) und welche Aussagen ungünstig sind (z. B. lästern, thematisch Unpassendes einwerfen etc.).
Auf dieser Basis kann die Klasse ihre eigenen Gesprächsregeln an praktischen Beispielen aushandeln, die jeder Lerner aus seiner Lebenswelt kennt, die aber dennoch durch den Transfer in die Fantasiewelt des Tierklassenzimmers abstrakt genug ist, um keine realen Personen und deren Verhaltensweisen anzugreifen.
Beim Thema Diskutieren werden die Schüler dann aufgefordert, das Echo-Spiel zu spielen, um einzuüben, einander in Diskussionen zuzuhören und auf die Aussagen anderer einzugehen. Dieses Vorgehen wird mithilfe einer Animation erklärt, die zuerst auf der Metaebene bleibt und dann zwei Beispiele zeigt (Video unten). Hier bietet die visuelle Darstellung von Bewegung (wenn etwa das von einem Vorredner genannte Argument in die Sprechblase des nächsten Redners integriert wird) einen klaren Vorteil für das Verstehen.27
Am Ende des Kapitels wird die eigenständige Produktion von Audios vorgeschlagen, indem die Lerner mithilfe von Situationskarten eine Diskussion im Rollenspiel führen und diese aufnehmen können. Durch die Möglichkeit, das Gespräch mehrmals anzuhören, können sie ihre Argumentationsmuster und den Gesprächsverlauf nachvollziehen und reflektieren. Voraussetzung dafür ist ein konstruktiver Umgang mit Fehlern und eine positive Feedbackkultur, die sich mithilfe des einführenden mBook-Kapitels einüben lässt.
Neben der reinen Wiederholungsfunktion des gesprochenen Wortes kommt im Bereich Sprechen und Zuhören auch die gestalterische Funktion von Audios zum Tragen. Als Beispiel sei hier das mBook-Unterkapitel Texte vortragen genannt, in dem zunächst unterschiedliche Gedichtvorträge als Audios angehört werden können – absichtlich nicht von Profis, sondern von den Mitgliedern des mBook-Teams. Auf diese Weise erfahren die Schülerinnen und Schüler, dass es nicht den einen richtigen Vortragsstil für einen Text gibt. Daneben können sie sich frei über die (ihrer Meinung nach) positiven und negativen Aspekte des jeweiligen Vortrags äußern, ohne darauf Rücksicht nehmen zu müssen, die Gefühle des Rezitators zu verletzen. Zudem ist es sinnvoll, ihnen nicht nur die Arbeit von Profis (ihren Lehrkräften, ausgebildeten Sprechern/Sprecherinnen und Schauspielern/ Schauspielerinnen) zu zeigen, sondern auch von anderen Erwachsenen, für die Lyrik nur ein selten gepflegtes Hobby ist.28 Auf dieser Basis arbeiten die Lernenden nachfolgend allgemeine Kriterien für einen gelungenen Gedichtvortrag heraus und können sich selbst beim Üben aufnehmen. Abgerundet wird diese Sequenz durch ein Interview mit einer bekannten Poetry-Slammerin, die berichtet, worauf sie bei einem Gedichtvortrag besonderen Wert legt und welche Tricks sie kennt.
Lesen als Kernkompetenz für schulisches Lernen und grundlegende Kulturtechnik ist in den letzten Jahren in den Fokus gerückt, ausgelöst durch die teils alarmierenden Ergebnisse deutscher Schülerinnen und Schüler in internationalen Vergleichstests.29 Trotz aller Bedenken gegen die Tests an sich und deren Vergleichbarkeit war für die Konzeption des Lesebereichs im mBook Deutsch ein Befund prägend: Viele Schülerinnen und Schüler weisen zum Ende der Grundschulzeit vergleichsweise bessere Leseleistungen auf als in späteren Jahren ihrer Schulbildung.30 Daher ist eine intensivere Leseförderung in der Sekundarstufe zwingend.
„Nach einem erfolgreichen Abschluss des Schriftspracherwerbs in der Primarstufe geht es später in erster Linie darum, die erlangte Lesekompetenz systematisch zu trainieren und auszubauen und dies als fächerübergreifende Aufgabe zu verstehen. […] Eine systematische weitere Förderung basaler Lesekompetenz in den ersten Jahren der Sekundarstufe ist offensichtlich notwendig.“31
Dieser Aufforderung in einer Analyse internationaler Vergleichsarbeiten möchte das mBook Deutsch mit einem speziellen Lesetraining nachkommen. Das Training folgt in Abwandlungen dem Fluency-Konzept von Cornelia Rosebrock, die fordert, verschiedene Verfahren zur Förderung der Lesekompetenz ineinandergreifen zu lassen32:
Aus dieser Aufzählung sticht die Forderung nach Laut-Lese-Verfahren heraus, die bisher im Deutschunterricht eine untergeordnete Rolle spielen. Diese Verfahren kommen im mBook Deutsch im Rahmen des Lesetrainings zum Einsatz, das sich konzeptionell an Gerd Kruses Ausarbeitungen anlehnt.34
Das Lesetraining findet sich im mBook als eigenständiges Kapitel vor den Lesekapiteln. Es sollte idealerweise am Anfang des Schuljahres begonnen und über das erste Halbjahr verteilt immer wieder aufgegriffen werden. Die Lerner können das Training weitestgehend selbstständig absolvieren. Dies hat mehrere Vorteile:
Aufbau und Inhalte des Lesetrainings:
Inhalt/Ablauf |
Methode |
|
---|---|---|
1. Phase: Aufwärmen |
Verschiedene Übungen zu:
|
Jeder Lernende arbeitet einzeln, damit den unterschiedlichen Bedürfnissen und Arbeitstempi Rechnung getragen wird. Die Lösungen werden durch das mBook überprüft, bei Problemen hilft die Lehrkraft. |
2. Phase: Vorlese-Training |
In Partnerarbeit üben zwei Lernende gemeinsam das Vorlesen; zunächst von schwierigen Wörtern, dann von ganzen Textpassagen. Dabei übernehmen sie wechselseitig Vortrags- und Beratungsfunktion, unterstützt von Anregungen aus dem mBook. Die Angebote sind so gestaltet, dass sich die Anforderungen an das Vorlesen steigern. Gegen Ende des Trainings bereiten die Schülerinnen und Schüler auch Vorlesetexte vor und bringen eine gelungene Sprachaufnahme in den Unterricht mit. |
Partnerarbeit mit geleitetem Feedback-Einsatz, später auch eigenständige Tonaufnahmen |
3. Phase: Lese-Strategien |
Zu Beginn des Kapitels wird den Lernenden ein Werkzeugkasten mit Möglichkeiten, einen Text zu bearbeiten, vorgestellt (aufgeteilt in die Phasen vor, während und nach dem Lesen). In der Folge kommt jedes Werkzeug zum Einsatz, anfangs stark geleitet und später immer freier, sodass die Lernenden die Werkzeuge immer eigenständiger einsetzen und deren Nutzen reflektieren.
Im ersten Teil wird an immer komplexeren Sachtexten zunächst die Blickführung beim Erstkontakt mit einem Text mit Überschrift(en) und Bildern geübt.
Um die Schülerinnen und Schüler anzuregen, eine vorteilhafte Blickführung einzuüben, werden die Lesetexte in aufeinanderfolgenden Bildern gezeigt. Zunächst ist nur die Überschrift lesbar, der Rest des Textes und der Bilder zwar erkennbar, aber verschwommen. Im nächsten Bild werden die Grafiken und Zwischenüberschriften erkennbar usw. (siehe Abbildung unten). Der folgende Einschub zum Umgang mit Grafiken und Bildern öffnet den Blick der Schülerinnen und Schüler für die Verbindung von Bild und Text und übt ein, den Zweck einer bildlichen Darstellung zu entschlüsseln. Die anhand der Sachtexte eingeübten Werkzeuge kommen dann auch bei den literarischen Texten zum Einsatz, sodass die Schülerinnen und Schüler verschiedene Möglichkeiten kennenlernen, die sie dann je nach Bedarf auch bei anderen Texten einsetzen können. |
Einzelarbeit, aber auch im Klassenverband möglich, später dann Partnerarbeit |
In den beiden folgenden Kapiteln, die Sachtexte und literarische Texte enthalten, sollen nicht nur die im Lesetraining erworbenen Kompetenzen weiter eingeübt werden, sondern über vielfältige mediale Angebote auch Zugänge zum Lesen und zum Verständnis für Literatur geschaffen werden. Gleichzeitig sollen Schwierigkeiten nicht ignoriert werden. Gerade leseschwache Schülerinnen und Schüler bedürfen einer gezielten Förderung, um eine Steigerung der Lesemotivation zu erreichen. Lesestarke Lerner haben in der Regel schon eine hohe Lesemotivation, die durch den eher niedrigschwelligen Einstieg wohl nicht beeinträchtigt wird.
Die Leseangebote beschäftigen sich mit der Frage, wie man Lesestoff, der den eigenen Vorlieben entspricht, findet und auf welcher Stufe des Lesens man sich derzeit bewegt. Die Lerner bewerten Romananfänge und begründen, warum sie sich für einen Text begeistern können oder eben nicht. Lesen soll damit als lebenslanger, individueller Lernprozess vermittelt werden, in dem es ganz normal ist, dass man (noch) kein Profi ist. Eines der Textangebote, „Linkslesestärke“ von Anja Janotta, thematisiert, auf dieses prozessuale Verständnis eines stetigen Lesekompetenzerwebs aufbauend, das Phänomen Rechtschreibschwäche und was sie für die Betroffenen und deren Umwelt bedeutet. Dieser Einstieg in das literarische Lesen, für das die Schülerinnen und Schüler begeistert werden sollen, gesteht den Lernern zu, eine eigene Meinung, Stärken und Schwächen zu haben, ohne diese zu bewerten. Zudem gibt es ein Angebot aus unterschiedlichen Medien wie etwa Videos und Grafiken, das es vermeidet, lange Texte aneinandergereiht zu präsentieren und damit die Motivation der leseschwachen Schülerinnen und Schüler zu senken.
Daneben können Stärken und Schwächen der unterschiedlichen medialen Darbietung diskutiert werden, wenn beispielsweise das Video einer Geschichtenerzählerin mit der schriftlichen Vorlage verglichen wird.
Das Nachdenken und Sprechen über eigene Lesevorlieben wird über Videos von jugendlichen Video-Bloggern angeregt, die Bücher vorstellen und empfehlen. Dabei darf natürlich der Hinweis nicht fehlen, dass diese Influencer dafür mindestens die Bücher geschenkt bekommen und daher Werbesendungen machen. Damit ist die Auseinandersetzung mit diesen Videos nicht nur eine Anregung für eigene Lektürepräsentationen, sondern auch ein Anlass, über Internetphänomene zu sprechen.
Das Kapitel zur Lyrik verfolgt einen sehr individualisierten Ansatz, der das ästhetische Erleben der Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund stellt. Die Animation „Kleine Anleitung für Gedichtehasser: Was ist Lyrik?“ zeigt, dass man mit Lyrik anders umgehen darf als mit anderen Texten, bei denen zunächst das Verstehen auf der Wort- und Satzebene gefragt ist .
Mit diesem Einstieg wird vermieden, zu schnell in die Analyse von Versen, Reimen etc. zu geraten. Vielmehr sollen zunächst Klänge, Rhythmen und Emotionen entstehen dürfen, mit denen sich die Lernenden auseinandersetzen. Dabei helfen auch zahlreiche Audios, die die Lyrik in der ihr eigentlich zugedachten Präsentationsform darbieten, sowie kleine und auch umfangreichere Vorschläge für Schreibaufgaben. Verschiedene Videos weiten dann den Lyrikbegriff aus, indem sie die Verbindung zur Musik (Fiva MC: Dein Lächeln verdreht Köpfe), zum Dadaismus (Christian Morgenstern: Das große Lalula) und zur zeitgenössischen Slam Poetry (Sebastian 23: Zeit für Lyrik) herstellen. Abgerundet wird das Kapitel mit einer Aufgabe, in der sich verschiedene Lernziele vereinigen: Die Schülerinnen und Schüler werden zunächst aufgefordert, eine Idee für die Verfilmung eines bekannten Gedichts (Eduard Mörike: Er ist’s) zu entwickeln. Bevor es an die Umsetzung geht, sehen sie sich einige Videos zu diesem Gedicht auf YouTube an und bewerten deren (teilweise eher fragwürdige) Qualität. Zuletzt sehen sie professionelle Videos zu anderen Gedichten und schärfen so ihre ästhetische Wahrnehmung. Dann erst überarbeiten sie ihre eigene Idee, die durch die Auseinandersetzung mit den Videos sicherlich gewonnen hat35, und setzen sie mit Unterstützung der Lehrkraft um.36
Das Sachtextkapitel widmet sich dann dem Thema „Internet“ und vermittelt Basiswissen über die heutige, zunehmend digital organisierte Welt mithilfe von Texten, die sich mit der Entstehung des Internets beschäftigen und beispielsweise folgenden Fragen nachgehen:
Dabei werden die Inhalte in linearen und non-linearen Texten dargeboten. Beim Thema Grafiken werten die Schülerinnen und Schüler nicht nur einfache Diagramme zur Internetnutzung aus, sondern führen selbst eine Umfrage in der Klasse durch und erstellen mithilfe einer geeigneten Webseite selbst Diagramme zu unterschiedlichen Aspekten der Internet- und Smartphonenutzung. So werden Diskussionsgrundlagen für wichtige Erkenntnisprozesse geschaffen: Wie entsteht eine Statistik? Warum unterscheiden sich die Zahlen im Sachtext (basierend auf der KIM-Studie von 2016 mit 20 000 Teilnehmern) von den Ergebnissen in unserer Klasse? Wie bewerten wir die Ergebnisse und welche Konsequenzen können wir daraus für unser eigenes Leben ziehen?
So soll in der Auseinandersetzung mit den Lesetexten die von Martin Leubner aufgestellte didaktische Trias Texte suchen und nutzen – Texte untersuchen und verstehen – Texte produktionsorientiert umgestalten 37 altersgerecht angestoßen werden: Schülerinnen und Schüler können Texte digital lesen, werden aufgefordert, weitere Texte in Büchern oder im Internet zu finden und zu nutzen, bearbeiten digitale Texte mit ihren eigenen Kommentaren und Markierungen und gestalten – auch kollaborativ – eigene und fremde Texte (um). Sie nutzen dafür das mBook, Bibliotheken und das Internet als Arbeitswerkzeug38 und haben dabei die Chance, zunehmend eigenständiger zu arbeiten. Dazu gehört auch, dass es zahlreiche Zusatzangebote gibt, z. B. ein weiteres Kapitel aus dem vorgestellten Roman „Linkslesestärke“, das die Lernenden zum Weiterlesen nutzen können.
„Das Schreiben muss sich ändern, weil sich das Lesen ändert: die virtuelle Öffentlichkeit ist eine bedeutende Einflussgröße“39. Diese von Ulf Abraham geforderte Veränderung des Schreibens soll mit dem mBook auf zwei Ebenen einen Anfang nehmen: Zum einen soll das etablierte Schreiben mithilfe digitaler Textverarbeitungsprogramme übersichtlicher und einfacher überarbeitbar gemacht werden. Dabei kommt der sozialen Dimension des gemeinsamen Besprechens, Kommentierens und ,Rückmeldung-Gebens‘ durch Kommentar- und Chatfunktionen eine große Rolle zu. Zum anderen sollen die Texte, die den Schreibgepflogenheiten des Internets folgen, altersgemäß entdeckt werden. Es muss zunächst ein Bewusstsein geschaffen werden, wie kollaborative Texte beispielsweise in der Wikipedia entstehen. Fragen nach Autorenschaft, Urheberrecht und geistigem Eigentum werden thematisiert, bevor der nächste Schritt, die eigene Textproduktion für die virtuelle Öffentlichkeit in Form von Blogs, Wikis o. Ä., getan werden kann. Das mBook bietet mit dem Einstieg in die Recherche und Informationsverarbeitung den Beginn einer Progression, die sich über die gesamte schulische Bildung erstreckt, da digitale Schreibmedien „künftig mit Sicherheit konstitutiv sein werden für Schriftlichkeit und Schreibkultur“40.
Warum es wichtig ist, das Internet als gegenwärtiges Recherchewerkzeug zu thematisieren und die Lernenden durch praktische und theoretische Auseinandersetzung mit dem Internet zu schulen, stellt Axel Krommer nachvollziehbar dar.41 Neben dem Sachtexte-Kapitel, das Themen wie Internet, Suchmaschinen und Wikipedia thematisiert, erfolgt die praktische Umsetzung auch im Kapitel zum Schreiben oder beim Recherchieren von Tipps für das Vorlesen.
Dabei soll natürlich nicht nur das Schreiben für die virtuelle Öffentlichkeit im Vordergrund stehen. Jede Form des Schreibens benötigt Übung, die im Schulalltag dann in konkrete Prüfungsformen mündet. Das mBook setzt darauf, mit zahlreichen Beispielen, an denen weitergearbeitet, überarbeitet, analysiert und ausprobiert werden kann, konkrete Erfahrungen zu ermöglichen. Denn diese ,Fingerübungen‘ sind von großer Bedeutung für den Lernerfolg, aber bisher nur sehr unbefriedigend durchführbar: Textbeispiele müssen abgeschrieben, durchgestrichen / mit Tintenlöscher bearbeitet und mit Klammern/Sternchen/Fußnoten ergänzt werden. Falls das Resultat nach diesem ersten Überarbeitungsgang (meist braucht es mehrere Durchgänge bzw. ergeben sich in der Diskussion im Plenum noch weitere Änderungen) schon fertig ist, hat der Lernende einen guten Text, der jedoch in der Form so wenig ansprechend ist, dass man ihn kaum ein zweites Mal mehr entziffern mag. Daher ist für diese wichtigen Arbeitsabläufe ein digitaler Prozess bestens geeignet: Textbeispiele können mühelos übernommen, verändert oder völlig umgeschrieben werden. Das Resultat ist sofort in gut lesbarer Form vorhanden, kann verglichen, geteilt und noch weiter geschliffen werden. Dafür gibt es im mBook Deutsch viele Aufgaben, die in Teilen und immer wieder die Überarbeitung von eigenen und vorgegebenen Texten anregen. So können die Schülerinnen und Schüler an ihren individuellen ,Werkstücken‘ Neues ausprobieren und Erfahrungen machen, die direkt an ihren eigenen Ideen und dem individuellen sprachlichen Vermögen ansetzen. Ein Beispiel für den kleinschrittigen Aufbau dieses Lernprozesses findet sich im Kapitel zum gestalterischen Schreiben, wenn es darum geht, Gedanken und Gefühle einer Figur in einer Erzählung darzustellen:
Didaktischer Aufbau |
Beschreibung |
---|---|
Dialogtext über die Bedeutung innerer Handlung für Erzählungen |
Sensibilisierung für das Thema |
Vorbereitende Übung, die an die Selbsterfahrung der Lerner appelliert |
Wie merkst du, dass sich ein starkes Gefühl in dir ausbreitet? Spontanes Sammeln von Beispielen zu den Gefühlen Angst, Wut, Freude, Trauer |
Übung zur inneren Handlung I (Verknüpfung Mimik und Gedanken/Gefühle) |
Die Schülerinnen und Schüler sehen Fotos mit verschiedenen Gesichtsausdrücken und formulieren Gedankenblasen dazu, die von einem anderen Schüler / einer anderen Schülerin richtig zugeordnet werden müssen. |
Übung zur inneren Handlung II (szenische Umsetzung) in Verbindung mit dem Ausformulieren der äußeren Handlung |
Zwei Schüler/Schülerinnen erhalten eine Gedankenblase mit starken Gefühlen/Gedanken. Jeder spielt den Inhalt seiner Gedankenblase dann pantomimisch vor. Zwei weitere Schüler/Schülerinnen („Äußere Handlung“ und „Innere Handlung“) stehen rechts und links des Pantomimen und formulieren spontan Gedanken/Gefühle bzw. die äußere, sichtbare Handlung. Die Gruppe gibt Rückmeldung und überlegt, wie Darstellung oder Formulierung noch treffender sein könnte. |
Lesen und Analysieren von zwei unterschiedlichen Versionen des Höhepunkts einer Erzählung (Version A: hauptsächlich äußere Handlung; Version B: hauptsächlich innere Handlung) |
Die Lerner sehen den Unterschied an zwei extremen Ausprägungen und können direkt vergleichen, wie gut sich der Leser in die Situation der Hauptfigur einfühlen kann. Sie sammeln konkrete Beispiele für innere und äußere Handlung. Sie diskutieren die Vor- und Nachteile und stellen fest, dass sowohl äußere als auch innere Handlung nötig sind. |
Experimentieren mit den beiden Versionen, Synthese der Texte |
Die Lerner verbinden die beiden Versionen zu einem Text, löschen dabei Elemente oder fügen neue hinzu (Vorübung zum eigenständigen Ausgestalten von Höhepunkten) |
Anwendung in einem eigenen Text |
Aufgabe, in einer eigenen Geschichte äußere und innere Handlung bewusst einzusetzen |
Kooperative Überarbeitung mit Partner(n), Fokus auf äußerer/innerer Handlung |
Feedback und kooperatives Arbeiten, Verbesserung jeder Version |
Transfer auf filmische Gestaltung |
Beispiel und Diskussion, wie es in Filmen gelingt, innere Handlung darzustellen am Beispiel des offiziellen Trailers zu Disney’s „Dumbo“ (2019)42 |
Der Transfer am Ende der beschriebenen Sequenz ist nicht als optionaler Abschluss gedacht, sondern als Übertrag in die Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler und als Ausweitung des Gelernten auf andere Bereiche der Literatur. Michael Staiger konstatiert, dass audiovisuelle Texte auch literarische Texte sind.43 Dieser Feststellung, die einen erweiterten, medienübergreifenden Textbegriff zur Folge hat, soll immer wieder Rechnung getragen werden. So auch im Vergleich erzählerischer Mittel. Dort werden Erzählperspektiven mit zwei unterschiedlichen kurzen Filmsequenzen verdeutlicht, die sowohl im Film als auch dann im geschriebenen Text analysiert werden. Hier bietet die digitale Beschaffenheit des mBooks die Chance, das schriftliche Erzählen an die Lebenswelt der Lernenden heranzuholen und Synergien zu schaffen.
Audiovisuelle Darstellungen werden jedoch nicht nur im Bereich des gestalterischen Schreibens genutzt. Auch für das informierende Schreiben haben sich bereichernde Einsatzmöglichkeiten aufgetan. Allgemein steht dieser Bereich des schulischen Schreibens vor zwei Herausforderungen: Er wird von den Schülerinnen und Schülern häufig als wenig spannend und interessant wahrgenommen und er muss (über Jahre hinweg) ein Verständnis für die Bedeutung von beschreiben und informieren schaffen, das nicht nur auf die individuelle Schreibkompetenz abzielt, sondern auch die Intentionen von Autorinnen und Autoren bewusst macht – bis hin zur Gefahr von sogenannten Fake News. Die bisherigen Schreib- und auch Prüfungsformen in der 5. Jahrgangsstufe kommen da relativ altmodisch daher. Welcher Jugendliche liest, geschweige denn schreibt noch eine detaillierte Anleitung, wenn es für jedes Kochrezept, Spiel oder handwerkliche Projekt Videoanleitungen im Netz gibt? Zudem ist die Schreibform „Bericht“ den meisten Schülerinnen und Schülern völlig fremd, da sie aus der Erwachsenenwelt kommt und grundlegende Einsichten in bürokratische Abläufe erfordert. Zur Lösung dieses Problems wurde im mBook eine Animation erstellt, in der gezeigt wird, wofür Berichte eigentlich nötig sind. Der zuvor beschriebenen allgemeineren Problematik begegnet das mBook mit einer Mischung aus Videos und Audios, in denen Spiele, Kochrezepte oder Zaubertricks gezeigt werden und Aufgaben angelegt wurden, in denen das Gesehene in verschiedenen Formen weitergegeben werden muss. Zunächst wird jedoch mit einer Schulung der Wahrnehmung die Basis gelegt, Gegenstände und Vorgänge überhaupt so beschreiben zu können, dass ein anderer Mensch sie sich gut vorstellen kann. Die schwierige Aufgabe, komplexere Vorgänge zu beschreiben, wird dann mit unterschiedlichen Videos eingeführt: einem Video über Schokoladenherstellung, einem über den Umgang mit verletzten Wildtieren und einem mit verschiedenen physikalischen Experimenten, die das mBook Team vor der Kamera durchführt.
Aus diesen Videos entstehen vielfältige Schreibanlässe, in denen die Lernenden ihre erworbenen Kompetenzen anwenden können, bis hin zur Meta-Aufgabe, eine Vorgangsbeschreibung darüber zu verfassen, wie man eine Vorgangsbeschreibung verfasst.
„Geschichten können in der Regel besser als Beschreibungen und Berichte das Behalten und Erinnern fördern“44. Diese Feststellung von Reinmann macht sich das mBook zunutze, wenn es um den Erwerb der Begriffe und Konzepte zu Wortarten und Satzgliedern geht. Erfahrungsgemäß haben viele Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten, diese Ebenen zu trennen (z. B. Nomen – Subjekt). Darum bietet das mBook dazu eine eigene Narration an, in der die Wortarten in einer beliebigen Reihenfolge erarbeitet werden können: In Form eines Figurentheaters treten die Wortarten als kleine, fantastische Wesen auf, die sich nach und nach den Zuschauern vorstellen.
Nach jedem Video führen Übungen in die Anwendung und lassen die Lernenden entdecken, was diese Wortarten eigentlich ausmacht. Auch die Narration wird in loser Reihenfolge weiter ausgestaltet. So wird immer deutlicher, dass die Wortart-Wesen im Gehirn eines Kindes leben und sogar täglich Nachrichten über „ihren" Menschen sehen. Ganz nebenbei wird dabei die Wortart Präposition eingeführt.
Nachdem alle für diese Jahrgangsstufe relevanten Wortarten eingeführt sind, finden die Wortartenwesen in einem letzten Video heraus, dass ein im ,Gehirn‘ abgestellter Zug sie in ein anderes Gehirn reisen reisen lassen kann. Das war schon immer ihr gemeinsamer Wunsch. Sie finden heraus, wie der Zug funktioniert: Wenn sie sich so auf die Lok (Subjekt), den „Energieantriebswagen“ (Prädikat) und die einzelnen Waggons (Objekte und Adverbiale) aufteilen, dass jeweils passende Wortarten in den Zugteilen sitzen, springt der Motor an und das Verb kann auf seiner Uhr die Zeitstufe einstellen. Erst dann setzt sich das Gefährt in Bewegung und fährt aus dem Mund heraus in ein fremdes Ohr. Natürlich wird diese kommunikationsphilosophisch angehauchte Narration am Ende des Kapitels thematisiert. Die Schülerinnen und Schüler werden aufgefordert eigene Überlegungen zu Sprache und Kommunikation anzustellen.
Für die 5. Jahrgangsstufe ist in den Lehrplänen vorgesehen, verschiedene Rechtschreibphänomene in den Fokus zu stellen. Da diese Phänomene je nach Bedarf integrativ in den Unterricht aufgenommen werden und das für die Schülerinnen und Schüler häufig ein rein mechanisches Lernen bedeutet, bringt das mBook Fantasie in diesen Bereich. Angelehnt an Roald Dahls Roman „Hexen hexen“45 wird den Lernern ein Hörspiel angeboten, das in folgende Handlung einführt, auf die sich dann die einzelnen Rechtschreibphänomene (in beliebiger Reihenfolge) aufbauen:
Der etwa 11-jährige Martin verbringt viel Zeit bei seiner Großmutter, der es sehr wichtig ist, dass er die Rechtschreibung gut beherrscht. Sie erzählt ihm, dass es Hexen waren, die in ihrer Abneigung gegen glückliche Kinder ein Mittel gesucht haben, den Kindern das Leben schwerzumachen. Darum haben sie die Schreibung verhext, damit sie die Kinder mühsam erlernen müssen. Jedoch ist ihnen beim Zaubern ein Fehler unterlaufen, den sich die Großmutter, im Hauptberuf Hexenjägerin, zunutze macht: Bei jedem richtig geschriebenen Wort muss die (als normaler Mensch getarnte) Hexe unwillkürlich aufquieken. So kann die Großmutter sie erkennen und mit einer einfachen Berührung in Luft auflösen. Martin und die Leser werden animiert, der sympathischen Großmutter zu helfen und Wörter richtig zu schreiben. Jede dieser Hexen hat eine kleine Geschichte, die erklärt, warum sie genau dieses Rechtschreibphänomen gezaubert hat.
Zudem sorgen die Namen, Bilder und Lieder, die sich der Junge als Merkhilfe überlegt, dafür, die jeweiligen Phänomene gut unterscheidbar zu machen (z. B. Sassandra Spinnenspei für die S-Laute, Dondeera Dehn für die Dehnung, die Schwestern Maximara Mammut und Minimara Mops für Groß- und Kleinschreibung, Freddus Fratzenkratz für die Schärfung etc.).
Zahlreiche digitale, automatisch korrigierbare Übungen führen die in sich geschlossenen Geschichten fort. Am Ende des Rechtschreibbereichs gibt es dann ein Kapitel, das die Fantasieerzählung bricht und der Frage nachgeht, wie unsere heutige Rechtschreibung entstanden ist. Die Lernenden können auf diese Weise erkennen, dass sich die Schreiber einer Sprache aus gutem Grund auf gemeinsame Regeln geeinigt haben und es sich lohnt, die Rechtschreibung zu beherrschen.
Das mBook Deutsch versteht sich als Einladung, den Weg in ein neues Lernen zu betreten, und steht dabei selbst am Beginn dieser Entwicklung. Die rasante Geschwindigkeit, mit der künstliche Intelligenz, virtuelle Realität und globale Entwicklungen unsere Gegenwart verändern, wird sich im schulischen Lernen – auch im Fach Deutsch – niederschlagen müssen.
Dabei kann das wie auch immer geartete technische Umfeld bieten, was traditionelle Lernmittel und die Lehrperson – zumindest bei heutigen Klassenstärken und Stundendeputaten – nicht leisten können: echte Differenzierung durch auf die jeweiligen Interessen, den Lernstand und Lernpräferenzen zugeschnittene Aufgaben und Materialien, unkomplizierte Kommunikation und schier unerschöpfliche Recherchemöglichkeiten zu jeder erdenklichen Frage.
All diese Möglichkeiten werden das Lernen grundlegend verändern, aber sie bedeuten nicht, dass die Rolle der Lehrkraft überflüssig wird. Im Gegenteil wird es umso dringender Expertinnen und Experten brauchen, die einerseits mit den Inhalten und Kompetenzanforderungen des Fachs vertraut sind, andererseits aber auch erzieherisches Gespür haben und in den Bereichen der persönlichen Entwicklung, Kreativität und Motivation wirksam werden. Zudem muss in dieser Welt der unendlichen Möglichkeiten die Lehrkraft beratend agieren und in der Lage sein, die Komplexität altersgemäß zu reduzieren.
Für den Deutschunterricht ist die eingangs geforderte Neudefinition des Literaturbegriffs nötig, da die heutige Einteilung bald ihre Trennschärfe verloren haben wird: Literarische Erfahrungen können heute in beliebigen Medien (gedrucktes oder digitales Buch, Film, Spiel, Audio, Virtual und Augmented Reality) gemacht werden.
Auch die Frage nach digitaler oder analoger Arbeitsweise wird wahrscheinlich nicht mehr maßgeblich sein, wenn es uns, auch durch guten Deutschunterricht, gelingt, die Schülerinnen und Schüler in beiden Bereichen kompetent zu machen. So soll jeder, je nach Aufgabe und persönlicher Neigung, das passende analoge oder digitale Werkzeug auswählen und anwenden können. Auf dieser Basis bietet sich dem Deutschunterricht ein spannendes Gestaltungsfeld: das Entdecken und Untersuchen von Geschichten in allen Erscheinungsformen, Kommunikation auf unterschiedlichen Kanälen und mit differenzierten Zielsetzungen sowie der Umgang mit medialen Formen, die sich in permanentem Wandel befinden.
Es ist den Lernenden der Gegenwart und Zukunft nur zu wünschen, dass es uns gelingt, die Diskussion wegzulenken von konkreten Tools oder der Frage, wie wir alte Inhalte mit neuen Werkzeugen verknüpfen können, sondern einen Schritt ins Grundsätzliche wagen: Wie muss Deutschunterricht gestaltet sein, dass sich Menschen in der heutigen und morgigen Lebenswelt und Kultur orientieren können? Wie fördern wir individuelle Stärken, Fähigkeiten und Wissen, ästhetisches Empfinden und Selbstkompetenz? Wenn wir diese Fragen beantworten können, finden Inhalte und Werkzeuge aus analoger und digitaler Welt ganz natürlich zusammen.
Zitiervorschlag: Florian Sochatzy und Marcus Ventzke (Hrsg.), Bildung digital gestalten, Eichstätt 2020, Kap. mBook Deutsch: Das mBook-Konzept auf andere Fächer übertragen und weiterentwickeln https://bildung-digital-gestalten.institut-fuer-digitales-lernen.de/inhalt/das-mbook-deutsch 22.10.2020. content_copy kopiert!
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