Blick auf ein großes Bücherregal mit sehr vielen Büchern.

Wie die Narration des mBooks entsteht – Einblicke

Lukas Epperlein

Raum und Zeit und Buch

Grundsätzlich unterscheidet sich ein mBook-Kapitel nicht von den Kapiteln eines gedruckten Geschichtsbuchs. Auch das mBook arbeitet mit Überschriften, Autorentexten, Bildern, Quellen und Darstellungen, zusammenfassend-verdichtenden Elementen sowie Aufgabenstellungen, die sich auf das angebotene Material beziehen.
Was das mBook aber vom gedruckten Buch unterscheidet, ist der potenziell unendlich vorhandene Raum. Ein digitales Produkt wie das mBook unterliegt nicht denselben Beschränkungen wie ein gedrucktes Buch. Es gibt im Prinzip unbegrenzt viele Seiten mit unbegrenzt viel Platz. Das ist für Autorinnen und Autoren erst einmal ein Geschenk. Sie können dieses Geschenk zunächst rein quantitativ betrachten und beispielsweise nutzen, um mehr Quellen und Darstellungen anzuführen und diese im Anforderungsniveau zu differenzieren. Man kann dadurch in Bildergalerien ganze Geschichten anhand mehrerer Bilder und ihrer ausführlicheren Bildunterschriften erzählen. Inhaltliche Exkurse und vertiefende oder erweiternde Materialangebote am Kapitelende können ebenso angeboten werden wie Narrationen aus mehreren Perspektiven.
Jeder Schulbuchautor und jede Schulbuchautorin weiß aber auch, dass die Qualität eines Schulbuchs nicht von schierer Menge bestimmt wird. Daher ist der unbegrenzte Raum ein Geschenk, mit dem man verantwortungsvoll umgehen muss. Denn in seiner Anwendung im Unterricht unterliegt das mBook natürlich derselben Beschränkung wie alle anderen Unterrichtsmaterialien – der der Zeit. Auch mit einem inhaltlich überquellenden digitalen Geschichtsbuch stehen Lehrende und Lernende nicht mehr Unterrichtsstunden zur Auseinandersetzung mit den Inhalten zur Verfügung.

Vielschichtige Kapitel

In einem konventionellen Buch ist der Inhalt eines Kapitels offensichtlich. Man schlägt das Buch auf und sieht ihn. Der Inhalt eines mBook-Kapitels ist nicht auf den ersten Blick (vollständig) offensichtlich. Er stellt sich auf mehreren Ebenen dar. Quellen-, Darstellungs- und Merkkästen sind auf der Oberfläche zunächst nur anhand ihres Titels erkennbar. Ihr vollständiger Inhalt wird erst nach Anklicken und Aufklappen angezeigt. Von Bildergalerien erscheint auf der Oberfläche nur das Vorschaubild. Auch sie müssen angeklickt und durchgeblättert werden, damit sie ihren vollständigen Inhalt offenbaren. Links auf andere mBook-Seiten und externe Webseiten weisen über das aufgeschlagene Kapitel hinaus und bieten weiteres Material an.
Diese Vielschichtigkeit wird im Konzept des mBooks als „Zwei-Ebenen-System“ bezeichnet. Sie ermöglicht es, das Inhaltsangebot (zum Teil erheblich) zu erweitern und die Kapitelstruktur dennoch übersichtlich zu halten. Wenn man mit mehreren Ebene arbeitet und damit einen gewissen Teil des Inhalts zunächst auf einer zweiten Ebene ,versteckt‘, besteht grundsätzlich die Gefahr, dass zumeist an lineare Materialpräsentation gewöhnte Leserinnen und Leser einmal Angeschautes im Gesamtangebot nicht wiederfinden und sich in zu vielen Schichten verlieren. Dem können Autorinnen und Autoren mit mehreren Mitteln entgegenwirken.

  • Kapitel und ihre Narrationen brauchen immer einen roten Faden, der auf der Oberfläche, also der ersten Ebene (und nicht in aufzuklappenden oder verlinkten Elementen) sichtbar sein muss. Die Geschichte, die in einem bestimmten Kapitel erzählt wird, sowie die Lehrplaninhalte, die mit dieser Geschichte abgebildet werden, müssen ,auf den ersten Blick‘ erkennbar sein. Und da dieser erste Blick vor allem auf Autorentexte, Galerievorschaubilder, Film- und Audioangebote sowie Quellen-, Darstellungs- und Aufgabenkästen fällt, gleicht ein mBook-Kapitel einem konventionellen Schulbuchkapitel. Im mBook wird daher auf eine bekannte Präsentationsstruktur zurückgegriffen, um Zugänge zur Nutzung quantitativ wie qualitativ erweiterter Angebote zu unterbreiten.
  • Inhaltselemente der zweiten Ebene benötigen klare Label, Erklärungen und Wegweiser. Wenn ich etwa auf ein externes Video verlinke, das einen interessanten Nebenaspekt eines Kapitelthemas behandelt, muss dieser Link als „Erweiterung“ oder „Vertiefung“ gelabelt werden. In einer Überschrift oder einem kurzen Einleitungstext muss geklärt werden, welche Verbindung der Inhalt des klickbaren Angebots zum Kapitelthema hat. Wenn in einem Text oder einer Aufgabe auf ein Inhaltselement der zweiten Ebene Bezug genommen wird, z. B. auf eine Geschichtskarte in einer Galerie, sollte klar benannt werden, wo und wie dieses zu finden ist. Nur so lässt sich vermeiden, dass benötigte Inhaltselemente in der Vielschichtigkeit verschwinden oder der Leser sich in Verlinkungen verirrt und den roten Faden des Kapitels verliert.

Mediennutzung

Mediennutzung ist im mBook kein Selbstzweck. Unterschiedliche mediale Darstellungsformen werden nicht deshalb aufgenommen, weil sie z. B. bewegliche Bilder enthalten (Filme, Animationen), mehr Farbe ins Buch bringen, irgendwie ‚neu‘ sind oder gefälliger als Fließtexte erscheinen. Wechselnde Medienangebote können dabei helfen, Inhalte zu veranschaulichen und zu verdichten. Gut gemachte und richtig eingesetzte Medien sparen Raum und Zeit und bilden einen Erkenntnisprozess ab, der von Leserinnen und Lesern, die einen individuellen Zugang zum mBook haben, zu jeder Zeit und so oft wie gewollt nachvollzogen werden kann. An den zwei folgenden Beispielen soll dies verdeutlicht werden, einem animierten Schaubild und einer Kartenanimation:

Beispiel 1: Animiertes Verfassungsschema „Römische Republik“

Anhand der Verfassung der Römischen Republik kann man Schülerinnen und Schülern die politischen Eigenarten Roms sehr gut erläutern. Diese Republik bildete den Machtkampf zwischen den großen römischen Bevölkerungsgruppen ab, ihre Verfassung zeigt, dass die Römische Republik eine Mischform aus der bereits von der griechischen Polis bekannten Demokratie und einer aristokratischen Herrschaft darstellt. Zugleich lässt sich verdeutlichen, wie Auseinandersetzung und Ausgleich zwischen Plebejern und Patriziern zur Entstehung dieser besonderen Mischform geführt haben. Die Verfassung lädt ein, sich grundsätzliche Fragen zu Volksherrschaft, Interessenvertretung von Gruppen und dem Status politischer Akteure zu stellen und zu untersuchen, wie diese damals beantwortet wurden und wie sie in unserem heutigen politischen System beantwortet werden.

Um dieses Potenzial in einem gedruckten Buch auszuschöpfen, bräuchte man wohl mindestens ein Verfassungsschaubild sowie einen erklärenden Text. Daraus ergeben sich mehrere Probleme:

  • Ein Schaubild allein bildet den Entwicklungsprozess der Republik nicht ab, mehrere Schaubilder sind kompliziert und brauchen Platz.
  • Es gibt viele erklärungsbedürftige Begriffe (z. B. Konsul, Senat und Tribun). Wie und wo lassen sich diese erklären – im Schaubild, im Begleittext?
  • Wie integriert man die Frage nach demokratischen und aristokratischen Elementen der Republik in das Schaubild?

Eine Animation zum Thema „Verfassung“ löst all diese Probleme sehr elegant:

  • In einer Animation kann die Römische Republik ,entstehen‘ – mit einem Element beginnend, zu dem weitere Elemente hinzukommen. Dies erleichtert das Verständnis und veranschaulicht historische Entwicklungen.
  • Einzelelemente können erklärt und dann durch einprägsame Symbole verdeutlicht werden. Im Sprechertext wird beispielsweise erwähnt, dass der Quästor für die Steuern zuständig ist, woraufhin ein Geldsack-Symbol neben dem Schriftzug „Quästor“ platziert wird.
  • Die strukturellen Details und Merkmale der Verfassung lassen sich durch farbliche Hervorhebungen kategorisieren. So können beispielsweise die demokratischen in blauer und die aristokratischen Merkmale in roter Farbe gezeigt werden. Zudem lassen sich diese Kategorien mit neuen Informationen aus dem Sprechertext verändern: Zunächst kann die Beamtenschaft blau markiert werden, weil sie gewählt wurde, dann kann erklärt werden, dass sich nur Patrizier zur Wahl stellen durften, und die Markierung wechselt zur roten Farbe.
Zuerst gibt es eine Volksversammlung, dann folgt die Wahl der Beamten, diese Gründen dann den Senat.

Verfassungsschema als animiertes Schaubild aus dem mBook Geschichte: Erkennbar ist die Entwicklung des Informationsflusses vom oberen...

Screenshot von einem Videoclip aus dem mBook Geschichte zum Verfassungschema im antiken Rom.

...zum unteren Teil der Abbildung.

Beispiel 2: Kartenanimation „Osmanisches Reich und Renaissance“

Dass die Eroberung Konstantinopels durch die Türken, das Zeitalter der Entdeckungen und die europäische Renaissance in einem Zusammenhang stehen, ist für Schülerinnen und Schüler nicht unbedingt ein naheliegender Gedanke. Die Orte liegen zu weit voneinander entfernt und die beteiligten Personengruppen (Türken und Byzantiner hier, Spanier, Portugiesen und Venezianer dort) haben vordergründig wenig miteinander zu tun.

Wie lässt sich also eine eingängige Verbindung herstellen?

  • Man kann herausarbeiten, dass das verbindende Element zwischen diesen Orten und Personen der Gewürzhandel war und der unglaubliche Gewinn, der sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit diesem Handel erzielen ließ (wirtschaftlicher Aspekt).
  • Man kann auch eine Karte zur Hand nehmen und darauf nachzeichnen, welche Wege dem Gewürzhandel von Indien blieben, als der Weg über das asiatische Festland nicht gewählt werden konnte (geografischer Aspekt).
  • Oder man kann die unterschiedlichen Haltungen zum Kontakt mit ‚ungläubigen‘ Muslimen im Spanien der katholischen Könige und in der Republik Venedig untersuchen (kultureller Aspekt).

Diese Aspekte könn(t)en durchaus in gedruckten Geschichtsbüchern aufgegriffen und bearbeitet werden, aufgrund des chronischen Platzmangels dieser Bücher werden sie aber wohl nur selten allesamt behandelt. Einer Kartenanimation von drei Minuten Länge gelingt es hingegen,

  • die Aspekte zusammenzuführen,
  • den Zusammenhang zwischen historischen Abläufen und geografischen Gegebenheiten zu verdeutlichen,
  • die Vielschichtigkeit der europäischen Reaktionen auf die osmanische Expansion abzubilden und
  • all das als Geschichte zu erzählen.
Kartenanimation: Osmanen, Entdeckungen und Renaissance

Zitiervorschlag: Florian Sochatzy und Marcus Ventzke (Hrsg.), Bildung digital gestalten, Eichstätt 2020, Kap. Wie die Narration des mBooks entsteht – Einblicke https://bildung-digital-gestalten.institut-fuer-digitales-lernen.de/inhalt/narration-des-mbooks 23.10.2020. content_copy kopiert!

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